Proteste in Kalk II

Özlem Demirel

Herr Ludwig und ich waren jeden Tag bei den Protesten der Jugendlichen dabei und haben uns dort mit den Jugendlichen unterhalten und ihre Kritik und ihre Forderungen angehört.

Ich muss hierzu auch sagen, dass ich es äußerst schade finde, dass ich dort keine Ratskollegen von den anderen Fraktionen gesehen habe. Dies zeigt nämlich wieder einmal deutlich, welche Haltung gegenüber diesen Jugendlichen eingenommen wird. Jugendliche mit einem sogenannten Migrationshintergrund, ihre Zukunftsmöglichkeiten, ihre angebliche Neigung zur Gewalt und Kriminalität und ihre Lebenssituation sind in den vergangenen Monaten eines der Topthemen gewesen, über die in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Politiker haben sich auf die eine oder andere Art und Weise über diese geäußert. Das Problem an der Geschichte ist im Kern: Man hat immer nur über sie gesprochen! Nicht mit ihnen. Genauso wie heute.  

Seit Jahren werden v.a. Menschen aus muslimischen Ländern unter Generalverdacht gestellt. Terrorismus, Krise des Bildungssystems, Jugendkriminalität ? die jungen Leute aus dem Nahen Osten und Nordafrika sehen sich für alle möglichen Dinge an den Pranger gestellt, für die die allermeisten von ihnen nicht die geringste Verantwortung tragen.

In diesem Zusammenhang möchte ich ihnen, Herr Oberbürgermeister, einen lieben Gruß von den Jugendlichen ausrichten und ihnen mitteilen, dass die Jugendlichen sie gerne unter sich sehen möchten. Und enttäuscht darüber sind, dass sie nicht vorbei gehen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Mehrere Male haben die Jugendlichen angemerkt, dass sie Zeit für Prunksitzungen haben, aber keine Zeit dafür aufbringen würden sich mit diesen Jugendlichen zu unterhalten. Diese Jugendlichen laden sie erneut ein und fordern, dass sich auch die Stadtspitze mit ihnen auseinandersetzt. Das wäre ein Schritt und ein Zeichen in die richtige Richtung.

Das Besondere an den Protesten war, dass die Jugendlichen, über die immer gesprochen wird, sich selber auf die Strasse gestellt haben und auf offener Strasse über verschiedene Probleme ihrer Lebenslage - trotz teilweiser negativer Berichterstattung und Provokationen - ganz friedlich diskutiert haben. Meinen  Respekt haben diese Jugendlichen. Sie möchten aber auch endlich mal den Respekt der Gesellschaft und Öffentlichkeit haben.  

Die Jugendlichen wollen keine Rache und keine Vorverurteilung. Sie wollen als Migranten einfach nur gleich behandelt werden. Sie haben nämlich nicht den Eindruck, dass dies der Fall ist. Und sie haben Angst vor einer gewalttätigen Eskalation in ihrem Veedel. Sie wollen nicht, dass Jugendliche mit Messern oder anderen Waffen rumlaufen, dass sich Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen hochschaukelt.

Die jungen Leute sagen offen: es geht nicht nur um Salih. Dieser Fall war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Auf den Kundgebungen reden viele Menschen über Diskriminierung und Rassismus im Alltag, berichten, was sie erlebt haben.  

Sie haben selber betont, dass sie keine Kriminalität wollen. Sie meinten aber auch, dass Menschen hierfür auch Perspektiven brauchen, die sie von der Strasse runterholen. Sie wollen Ausbildungsplätze und Arbeit. Sie wollen auch, dass man ihnen schulisch zur Hand geht. Sie wollen Streetworker. Aber Streetworker, die diese Jugendlichen und ihre Lebenslage verstehen, also jemand, der auch mal einer von ihnen war.  

Meine Damen und Herren,

der Fall Salih ist ein tragischer Fall. Unabhängig davon, was da passiert ist. So etwas sollte nicht noch einmal vorkommen. Nicht in Kalk nicht in Köln - eigentlich nirgendswo.  

Die Jugendlichen haben für ihre Trauer und ihre Wut, die Form der Selbstorganisation gewählt. Dies ist eigentlich ein guter Weg. Die Jugendlichen haben in Kalk ein Zeichen gesetzt. Sie haben sich nicht zurückgezogen oder die Situation eskalieren lassen. Sie haben stattdessen diskutiert und ihre Trauer in Forderungen ausgedrückt. Sie haben eigentlich das erreicht, was viele andere nicht erreichen. Nämlich sich selbst im Viertel zu organisieren. Hierfür sollte ihnen Respekt ausgesprochen und weiterhin ein Raum geboten werden.  

Die Jugendlichen haben mit ihrer Haltung pauschale Äußerungen wie Jugendliche mit Migrationshintergrund seien eher zur Gewalt geneigt und die Kampagne von Koch ins leere laufen lassen. Sie haben deutliches Zeichen gesetzt. Stecken sie die parteipolitischen Interessen zurück und lassen sie uns endlich damit anfangen den Jugendlichen zuzuhören, ihre Forderungen aufzunehmen und wirkliche Lösungen für die wahren Probleme dieser Jugendlichen finden. Und zwar nicht fern von ihnen sondern mit ihnen zusammen.