Das Schulsystem in Köln vertieft die soziale Spaltung

Heiner Kockerbeck

Ungleiche Lebenschancen von Kindern aufgrund ihrer sozialen Herkunft können durch das Bildungssystem nicht aufgehoben werden. Sie können entweder abgemildert oder verstärkt werden. Die Kölner Schulverwaltung veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen einen Monitoringbericht, der hierzu Daten präsentiert. Der aktuelle Bericht bezieht sich auf das Schuljahr 2019/2020.

In Köln wuchsen 2018 (laut Lebenslagenbericht) 21 % der Kinder unter 18 Jahren, rund 30.000 sind es, in SGB-II-Bedarfsgemeinschaft auf, die mindestens seit einem Jahr Leistungen bezogen. Armut ist im Kölner Stadtgebiet ungleich verteilt, von Stadtteilen wie Hahnenwald (0,2 %) bis Finkenberg (59,8 %). Wegen dieser Situation ermittelt die Verwaltung für die einzelnen Schulen den Anteil von Kindern in Familien mit Hartz-IV-Bezug. Schulen mit hohen Werten im Kölner Sozialindex erhalten leichte Vorteile bei Sozialarbeiter*innen, Ganztag, Digitalisierung u.a. Jedoch reichen die Ressourcen, die die Stadt dafür bereitstellt, bei weitem nicht aus. Das Land wäre hier gefordert. Regierungen verschiedener Couleur haben das aber bisher verweigert. Aktuell führt Düsseldorf wenigstens überhaupt einen Sozialindex ein.

Der Monitoringbericht 2020 zeigt, dass die SGB-II-Quote im Durchschnitt an Hauptschulen (32,7 %), Realschulen (26,8 %) und Gesamtschulen (22,1 %) höher ist als an Gymnasien (15,2 %). Jedoch schwankt sie auch bei einzelnen Gymnasien je nach Stadtviertel von 4,4 bis 34,9 %, bei Hauptschulen von 23 % bis 42,3 %. Der Anteil von Schüler*innen mit nichtdeutscher Familiensprache schwankt an Grundschulen zwischen 91,5 % und 0,9%, an Gymnasien zwischen 18,8 % und 1,8 %.

Die Zahlen spiegeln wider, was Soziologen „Segregation“ in der Stadt nennen, die soziale Entmischung und Polarisierung. Als Schule mit „gutem Ruf“ wählen Eltern aus den bürgerlichen Schichten vielfach die Schule, auf die nur wenige Kinder aus armen Familien, mit Migrationshintergrund, mit sozialpädagogischen Förderbedarf gehen. Denn drei Viertel der letztgenannten Kinder fallen unter die Förderbereiche „Emotionale und soziale Entwicklung“, „Sprache“, „Lernen“. Diese drei Bereiche werden, so das Monitoring auf Seite 25, häufig bei Kindern aus armen Familien diagnostiziert. Sie sind also Ausdruck von sozialer Benachteiligung, von Entwicklungsverzögerung und fehlenden verlässlichen Bindungen. Das bürokratische Diagnose- und Förderverfahren, das Kinder stigmatisiert und doch viel zu wenig Unterstützung leistet, ist dringend reformbedürftig. Die seit langem den Schulen versprochenen multiprofessionellen Teams in der Inklusion bleiben aus Kostengründen in Ansätzen stecken. Die aktuelle Landesregierung es den Gymnasien ermöglicht, sich aus der Inklusion weitgehend zu verabschieden. Die Inklusion, also sozialpädagogische Förderung an Regelschulen, findet ganz überwiegend nur noch an Hauptschulen, Realschulen und vor allem den Gesamtschulen statt.

Bei den Grundschulen gilt: Je geringer die SGB-II-Quote, um so größer ist der Anteil von Kindern mit einer Gymnasialempfehlung am Ende der 4. Klasse und umgekehrt. Die Grundschulen entwickelten sich stark auseinander, als 2005 die CDU-FDP-Landesregierung die Grundschulbezirke abschaffte. Es solle mehr „Wettbewerb“ unter den Schulen geschaffen werden. Keine Landesregierung hat die Grundschulbezirke seitdem wieder eingeführt.

Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule, so schrieb bereits 2018 das Schulmonitoring, ist „hochgradig selektiv“ in Bezug auf ökonomisch Lage und soziale Herkunft. Eine wichtige Lenkungsfunktion nehmen dabei die Empfehlung der Grundschulen am Ende der vierten Klasse ein. Auch aktuell sprechen die Zahlen dafür, dass dies (leider) funktioniert.

Die Schulverwaltung misst den Grundschulempfehlungen jedoch gut begründet nur „eine begrenzte Vorhersagekraft“ für die individuelle Entwicklung von Kindern zu. An den Gesamtschulen wechselten 2019 40,6 % der Jugendlichen in die gymnasiale Oberstufe ihrer Schule über. Nur 11,4 % besaßen eine uneingeschränkte Gymnasialempfehlung. Im vorigen Jahr veröffentlichte die „GGG - Verband für integrierte Schulen NRW“ eine eigene Studie: Nur 21 % der Jugendlichen, die 2020 an Gesamtschulen in NRW ein Abitur machten, waren von ihrer Grundschule als gymnasial geeignet eingestuft worden.

Seit der Einführung des Zentralabiturs 2007 ist deutlich, mit welchem Erfolg Gesamtschulen Kinder aus nicht-akademischen Familien und mit Migrationshintergrund fördern. Kein Wunder, dass das Monitoring einen seit über 10 Jahren ungebrochenen Trend in Köln hin zu den Gesamtschulen beschreibt, während besonders an Hauptschulen, aber auch an Realschulen die Schülerzahl abnimmt. Auf der anderen Seite besuchte 2019 in Köln fast die Hälfte der Schüler*innen in Klasse 5, kurz nach der Anmeldung, ein Gymnasium.

Wie stark die Akzeptanz des mehrgliedrigen Systems zugunsten der Gesamtschulen gesunken ist, wird dabei durch die Zahlen des Monitorings eher verschleiert. Es gibt die Zahl der Kinder von Klasse 5 bis 10 an, die an einer Gesamtschule einen Platz bekommen hatten. Waren dies 2005 noch 16 %, so 2019 schon 24,2 %. Jedoch wurden aber 2019 733 Kinder, die an Gesamtschulen angemeldet wurden, wegen Platzmangels abgelehnt. Insgesamt hatten also 36,6 % der Eltern ihr Kind an einer Gesamtschule angemeldet. Nur für 24 Prozent gab es Plätze. Die Zahl der Eltern und Kinder, die eine Gesamtschule wünschen, geht also eher auf die 40-Prozent-Marke zu.

Eine Lebenslüge des mehrgliedrigen Systems in den Klassen 5 – 10 ist die angebliche „Durchlässigkeit“ zwischen den Schulformen. Im Schuljahr 2019/2020 mussten 459 Schüler*innen ein Kölner Gymnasium verlassen. Im Fachjargon sagt man dazu zynisch „abschulen“. Starteten an Gymnasien von 2017 bis 2019 durchschnittlich jeweils ca. 4.100 Kinder in Klasse 5, drängten die Gymnasien also über 10 Prozent in den Jahren danach wieder heraus. Dies geschah vor allem im 5. und 6. Schuljahr. Die Klassengrößen schmolzen danach wieder ab, während sie anderswo wuchsen.

Die Zahl der "Abschulungen" steigt in Köln seit 2014. Zur umgekehrten Richtung sagt der Bericht: Die „Wechsel zu einer Schulform mit höherqualifizierenden Schulabschlüssen … spielen während der Sekundarstufe I nahezu keine Rolle“ (S. 40). Für betroffene Schüler*innen bedeutet ein Schulwechsel eine beschämende, demotivierende Erfahrung. NRW propagiert deshalb offiziell eine pädagogische „Kultur des Behaltens“. Wirksamer wäre es, wenn jede Schule, wie im Bundesland Bremen, gesetzlich verpflichtet wäre, einmal aufgenommene Kinder bis zum ersten Abschluss am Ende der Klasse 10 zu fördern hätte.

Die Praxis des Abschulens verstärkt ein Systemproblem bei weiterführenden Schulen. Die Verwaltung weist darauf hin, dass ein ungesteuerter Strukturwandel und ein fehlender schulpolitischer Konsens zu gewissen Zeiten „leeren“, ungenutzten Schulplätzen im mehrgliedrigen System führen, während Eltern in der Stadt wegen an anderer Stelle fehlende Schulplätzen vor dem Rathaus demonstrieren. Es gibt also ungenutzte Doppelressourcen.

Soll in der Sekundarstufe I das mehrgliedrige System weiterhin neben dem Gesamtschulsystem bestehen? DIE LINKE fordert „Eine Schule für alle“, seit einem Parteitagsbeschluss 2019 übrigens auch die Kölner SPD. Der Kölner Monitoringbericht fordert die Parteien zu einem neuen schulpolitischen Konsens auf. Er gibt Hinweise, welche Schritte auf dem Weg zu mehr Integration und Inklusion nötig sind.