Keine Revolution, aber konkrete , spürbare Erfolge

Karl-Heinz Heinemann

"Es nützt nichts, den Leuten ein Papier in die Hand zu drücken, wenn sie nächste Woche eine Räumung haben. Dann muss man aktiv helfen. Das muss sich widerspiegeln in der Politik.

Genau das hat Ernest Kaltenegger gemacht, als er 1998 Wohnungsstadtrat in Graz wurde. Heute ist seine Nachfolgerin Elke Kahr die Oberbürgermeisterin, weil die KPÖ die stärkste Fraktion geworden ist, in Graz, der seit dem Kaiserreich durch und durch konservativen steirischen Landeshauptstadt.

Mit einer Reisegruppe der Rosa-Luxemburg-Stiftung wollten wir erkunden, wie es den Grazer Kommunist*innen gelingt, dem in Europa vorherrschenden Trend einer Schwächung der Linkskräfte etwas entgegen zu setzen.

In Österreich gilt das Proporzprinzip: Alle Parteien im Gemeinderat - was bei uns der Stadtrat ist - bekommen entsprechend ihrer Stärke Stadtratsposten, vergleichbar mit den Dezernenten bei uns. Das Wohnungsressort wollte niemand, da gab man es gern dem Kommunisten Kaltenegger. Der richtete als erstes einen Mieternotruf ein. Rasch sprach sich herum, dass er nicht nur Rat gab, sondern selbst mit anpackte, wenn einer Kündigung zu widersprechen war oder ein Wasserhahn endlich repariert werden musste. Und dass er sich verpflichtete, von seinem städtischen Gehalt nur soviel zu behalten, wie ein Facharbeiter verdient, den Rest spendete er, nicht für die Parteikasse, sondern für Nothilfeprojekte. Das gilt bis heute, auch für Elke Kahr, die Oberbürgermeisterin. "Populismus", sagten die Konkurrent*innen. Na und? Erwiderten die Kommunist*innen. Könnt ihr ja auch tun. Dann fällt es einem leichter, den Job wieder abzugeben, wenn man abgewählt wird, und man vergisst nicht, wie normale Leute leben. Und es gibt kein Gedränge um die guten Listenplätze.

Dass Menschen 60 bis 70 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen, ist ein Unding. Kaltenegger beantragte, dass zumindest in den kommunalen Wohnungen niemand mehr als ein Drittel seines Einkommens für die Miete zahlen muss, den Rest soll die Kommune übernehmen. Der Antrag wurde abgelehnt. Daraufhin sammelten seine Genoss*innen Unterschriften für ein solches Gesetz. Schnell waren über 20 000 Unterstützer*innen zusammen, und prompt beschloss der Gemeinderat diese Obergrenze - einstimmig. Als die konservative ÖVP mit ihrer damaligen Mehrheit diese Wohnungen verkaufen wollte, konnte das rasch mit einem neuen Volksentscheid verhindert werden.

2003 wurde Graz Kulturhauptstadt. Kultur, das ist die ganze Lebensweise, meinte Kaltenegger. Etwa 2000 städtische Wohnungen waren "Substandard", d. h. hatten keine eigene Nasszelle. Also nutzte Ernest den Impuls und auch die Gelder der Kulturhauptstadt dafür, auch die letzten Wohnungen mit Klo und Bad auszustatten. Daran erinnern heute noch Fliesen mit entsprechender Aufschrift in den Bädern.

Nun steht die Grazer KPÖ an der Spitze einer Regierungskoalition. Schwerpunkt ist und bleibt die Wohnungspolitik, aber auch die Verkehrswende, Energiepolitik, Finanzen stehen auf der Agenda. Kulturpolitik? Eine Vertreterin der freien Kulturszene klagt, dass sich die KPÖ zu wenig darum kümmert. Das Ressort liegt jetzt in den Händen der ÖVP.

Wo erzielen die Kommunist*innen ihre Erfolge? In den Arbeitervierteln wählen nur noch 30 Prozent, aber da lag der KPÖ-Anteil fast bei der Hälfte. In den "besseren" Vierteln beteiligten sich rund 70 Prozent, von denen 20 % ihr Kreuz bei den Kommunist*innen machten. Also: sowohl die unmittelbar von der Wohnungsfrage betroffenen als auch die "Lifestyle-Linken" werden erreicht. Die Grazer Kommunist*innen punkten mit ihrer "Kümmererpolitik", während ihr Landesverband auf eine strikt antikapitalistische Programmatik setzt, mit der er sich von ihrer Bundespartei unterscheidet. Klar gibt es Auseinandersetzungen, bestätigt Leo Kühbacher, der unsere Gruppe in Graz begleitet. Etwa darüber, wie deutlich man sich in Fragen der Migrationspolitik positioniert. Aber die werden intern ausgetragen. "Wir haben keine Sahra Wagenknecht, von uns wird ja niemand in die Talkshows eingeladen."

Gestützt auf starke Bürger*innenbewegungen gelang ihnen der Spagat, in der Regierung Oppositionspolitik zu betreiben. Weil sie mit Wohnen ein bürgernahes Thema hatten. Auch heute, meint Max Zirngast, "Clubobmann", also Fraktionsvorsitzender der KPÖ im Grazer Gemeinderat, sollte man ein Regierungsbündnis nur eingehen, wenn man darin auch Gestaltungsmacht hat.

Einen Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungskonzernen wie in Berlin findet Max Zirngast von den Grazer Gemeindevertretern prima, aber nichts für Graz: Hier gibt es keinen dominierenden Wohnungskonzern, sondern relativ viele Gemeindewohnungen, da wolle man die Menschen nicht mit der Forderung nach Enteignungen verschrecken. Man habe ja andere Instrumente der Wohnungspolitik.

Das Rezept der Grazer*innen: Sie sind als Menschen und Politiker glaubwürdig - durch ihre Gehaltsobergrenze, und sie erzielen zusammen mit Bürger*innen und Basisbewegungen zwar keine Revolution, aber konkrete, spürbare Erfolge.