Eine Schule für alle

Özlem Demirel

Dass sich der Rat der Stadt Köln mit einem Parteibeschluss der Landes-SPD auseinandersetzen muss, ist schon eine komische Situation. Erst letztens mussten wir uns mit einem Parteibeschluss der Grünen auseinandersetzen.

Ich frag mich wohin sich das entwickeln wird. Wann sind eigentlich unsere Parteibeschlüsse dran, Herr Müller???? Eine Mindestlohn-Diskussion oder grundsätzliche Hartz-Diskussion im Rat der Stadt Köln, das wäre doch auch was.  

Übrigens hat die SPD in ihrem Parteibeschluss das Rad nicht neu erfunden. Schon seit Jahren wird das selektive Schulsystem nicht zuletzt von den SchülerInnen-Vertretungen in Deutschland kritisiert und es wird unterstrichen, dass das offensichtlich selektive Schulsystem einer großen Strukturreform bedarf. Ob das Konzept, welches die SPD vorgelegt hat ausreichend ist, wäre auch eine Diskussion wert. Aber eins ist klar, die Zeit für eine elementare Strukturreform ist schon lange da!  

Meine Damen und Herren,  

die CDU begründet ihren Antrag für den Erhalt des gegliederten Schulsystems damit, dass sich dieses Schulsystem bewährt habe und jedem Jugendlichen unabhängig von seiner Herkunft die Chance bieten würde, seine individuellen Fähigkeiten und Talente zu nutzen und zu entfalten. Da kann man ganz eindeutig feststellen: die CDU hat ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht. Und bleibt deshalb auf dem alten Schulsystem sitzen.

Übrigens ein Schulsystem, welches uns in seinen Grundzügen noch als Erbe aus dem Kaiserreich geblieben ist. Die Unterrichtsstoffe sollten nach Art und Umfang zugleich dem Bedürfnis derjenigen gesellschaftlichen Schicht und ihrer Arbeit entsprechend angeboten werden. So sollten die Arbeiter, der Mittelstand und die gehobene Schicht auf unterschiedlichen Schulen entsprechend ihres vorbestimmten Lebenslaufs fortgebildet werden. Denn wofür braucht der Arbeiter gehobene Kultur und eine entsprechende Bildung?!  

Aber das grundsätzliche Problem eigentlich ist doch, dass wir gerade in einer Gesellschaft leben, in der ein Großteil der Menschen eben nicht nach seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten leben kann. Und Chancengleichheit in der Bildung nicht gewährleistet ist.      

Meine Herren von der CDU,  

in Deutschland wird die Zukunft eines Kindes im Alter von 9 bzw. 10 Jahren bestimmt. Wir haben nämlich ein Schulsystem, das nach unten hin (vom Gymnasium auf die Hauptschule) sehr, aber nach oben hin nur schwer durchlässig ist. Allein im Schuljahr 2005/2006 wechselten 15.895 Schülerinnen und Schüler absteigend und lediglich 1.998 Schülerinnen und Schüler aufsteigend die Schulform. Die Unabhängigkeit eines Kindes mit 9 bzw. 10 Jahren vom Elternhaus wage ich auch etwas zu bezweifeln. Mit 9 Jahren ist man noch ein Kind! Und das Leben ist geprägt und bestimmt von der Lebensweise der Eltern. Gerade, wenn hierfür auch verbindliche Schulempfehlungen von Seiten der Lehrer aus vorgesehen sind. Denn diese sind meistens individuell unterschiedlich und nicht objektiv.  

Meine Damen und Herren,  

die erste PISA Studie hat eindeutig gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem im Selektieren nach dem sozioökonomischen Hintergrund der Familie eines Kindes Weltspitze ist. Und dies ist übrigens die Bewertung von PISA-Experten! Die Tatsache, dass 47,2% der Jugendlichen aus Familien der gehobenen Schichten und im Gegenzug dazu lediglich 2,7% der Kinder aus Facharbeiter- und Arbeiterfamilien einen FH- bzw. Universitätsabschluss erlangen, ist ein eindeutiges Zeichen hierfür. Insgesamt besuchen 64,7% der Kinder aus Familien der oberen Schicht und lediglich 9,1% der Kinder aus Arbeiterfamilien das Gymnasium.

Und diese Entwicklung hängt eindeutig mit dem Schulsystem zusammen! Oder wollen sie allen Ernstes behaupten, dass Kinder aus Arbeiterfamilien per se ?dümmer? als Kinder aus reichen Familien sind.  

Während die Gymnasiasten in Deutschland eine gute Förderung und gute Bildung genießen ?gelingt es (offensichtlich) in Deutschland nicht so wie anderen Ländern, die schwachen Schülerinnen und Schüler zu fördern.? Auch das eine Bewertung der PISA-Experten.  

Die ?schlechten? bleiben unter den ?schlechten? und die ?guten? unter den ?guten?. Das ist die Realität des gegliederten Schulsystems. Das gegenseitige voneinander und miteinander Lernen wird nicht gewährleistet. Das Prinzip der Gesamtschule als Regelschule bzw. ?eine Schule für alle? ist besser, sozial gerechter und solidarischer! Außerdem ist auch festzustellen, dass Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen mit dem Schulklima zufriedener sind als Schülerinnen und Schüler auf anderen Schulformen.  

Meine Damen und Herren,  

das Argument, dass die Gesamtschule gescheitert ist, ist nicht richtig. Doch es ist richtig, dass die Gesamtschule, weil sie neben anderen Schulformen existiert und keine ?Einheitsschule? ist, zum Scheitern verurteilt ist. Wenn man das der Gesamtschule vorwirft, ist es dasselbe wie für den Frieden einzutreten, aber Waffen zu verkaufen. Das ist aber im Moment genau die Sachlage.

Was wir brauchen ist das Prinzip ?Eine Schule für alle?. Einfach verklemmt an alten Strukturen festzuhalten bringt uns da nicht weiter - auch wenn dies ein wesentliches Merkmal von Konservativismus ist. An alten Strukturen festzuhalten macht nur dann Sinn, wenn die Strukturen einen Sinn machen. Und diese Schulstruktur macht keinen Sinn, zu mindest nicht für die meisten Schülerinnen und Schüler, sondern nur für eine kleine Elite.