Ein Klima der Einschüchterung fällt nicht vom Himmel
Rede von Heiner Kockerbeck auf der Ratssitzung am 16. Mai 2024. Alle demokratischen Fraktionen und Gruppen hatten einen Antrag auf eine Aktuelle Stunde gestellt. Zu Beginn der Ratssitzung befassten sich die Ratsmitglieder mit den "zunehmenden Bedrohungen und verbalen Entgleisungen gegenüber Amtsträgern, Ehrenamtlichen sowie Einsatz- und Rettungskräften".
Das hat Heiner Kockerbeck gesagt:
das gesellschaftliche Klima ändert sich in den letzten Jahren. Bedrohungen, Pöbeleien und Gewalt nehmen zu, ob im Netz oder auf der Straße. Wenn Feuerwehrleute aus ihrem Beruf aussteigen, wenn Kommunalpolitiker*innen ihr politisches Engagement beenden, wenn Sanitäter*innen nach Übergriffen in Einsätzen den Job wechseln, weil sie Anfeindungen und Gewalt bedroht werden: Dann ist der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht. Menschen werden angegriffen, während, oder präziser: weil sie öffentliche Aufgaben erfüllen.
Diese Verrohung der Gesellschaft fällt nicht vom Himmel. Erst verschiebt sich der Rahmen dessen, was an Herabwürdigendem und menschenfeindlichen Dingen gesagt werden darf, dann folgen Taten. Extrem rechte Akteure überschreiten diesen Rahmen immer wieder mit gezielten Provokationen, die am Anfang alle aufschrecken lassen. Ziel ist es aber, die Öffentlichkeit an die Ausgrenzung bestimmter Gruppen und an rechtsextremen und rassistischen Sprachgebrauch zu gewöhnen. Gerade erst ist der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Hocke wegen der Verwendung einer Losung der SA in seinen Reden endlich gerichtlich verurteilt worden.
Es gibt aber auch andere, von Vielen verbreitete Diskurse, die unselig für Zusammenhalt und Respekt vor allen Menschen in unserer Gesellschaft sind.
Dazu gehört z. B. die Denunziation und Lächerlichmachung der Wokeness. Sehr verbreitet unter Jugendlichen und der jüngeren Generation hat sich seit Jahren ein tiefes Bewusstsein dafür gebildet, dass manche Bevölkerungsgruppen von alltäglichen Worten und Redewendungen verletzt werden, z. B. weil sie aus einem rassistischen oder sexistischen Kontext stammen. Viele Frauen, People of Color, Menschen aus der LGBTQ - Community und andere möchten diesen Sprachgebrauch zurecht nicht mehr hören, weil sie die ihnen innewohnende Abwertung verletzt. Wer woke sein möchte, möchte eine respektvolle und gewaltfreie Kommunikation, möchte die Menschenwürde achten.
Das ist für manche gewiss ungewohnt und eine Umstellung. Aber gerade Politiker*innen sollten für diese Art des Umgangs miteinander werben. In Bayern wird dagegen Wokeness von Politikern sogar als "unbayerisch" gebrandmarkt. Stattdessen sollen die Einwohner*innen dieses Bundeslandes stolz darauf sein zu sagen, was ihnen spontan in den Sinn kommt, egal wie rassistisch oder sexistisch das auch sein mag. Respekt und Wertschätzung gegenüber den Mitmenschen zeigt das nicht.
Das aggressive und widerliche Transparent im Stadion, dass unsere Oberbürgermeisterin beschimpfte, entstand nicht im luftleeren Raum. Es entstand in einer Gesellschaft, in der Sexismus und die Abwertung von Frauen zunehmen.
Ein weiteres Beispiel: Das Gendern im Sprachgebrauch möchte zeigen, dass es in allen Berufen und gesellschaftlichen Bereichen heutzutage Frauen gibt. Aber nur wenn Frauen und ihre Rolle als Polizistinnen, Ingenieurinnen und auch Bürgermeisterinnen in der Sprache sichtbar gemacht werden, erkennen wir das als normal und selbstverständlich. Deswegen sollten Politiker*innen mit gutem Beispiel vorangehen und für das Gendern werben. Stattdessen benutzen auch konservative Kreise Gendern als Mittel im Kulturkampf und verbieten es: In Hessen und Bayern in der Verwaltung und an Schulen.
Das Forschungsprojekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" hat über zehn Jahre weitere Abwertungen und Ausgrenzungen von Gruppen in unserer Gesellschaft untersucht. Dort wird deutlich wie weit verbreitet die auch ständige Abwertung von Langzeiterwerbslosen, Geflüchteten und Obdachlosen ist. Sie werden als "überflüssig" auf ihre ökonomische Funktion reduziert. Sie müssen als Sündenböcke für Fehler unserer Wirtschaftsordnung und in der Verteilung des Reichtums herhalten.
Auch Politiker*innen aus dem demokratischen Spektrum schüren Ängste und Neid, indem sie die vermeintliche Bevorzugung bei Zahnarztterminen herbeifantasieren. Oder sie begründen das Gängelungsinstrument Bezahlkarte mit einer massenhaften Zweckentfremdung von Asylbewerberleistungen, für die es aber bisher keinen Beleg gibt.
Öffentliche Herabsetzung, Bedrohung und Gewalt trifft also nicht nur Gruppen mit öffentlichen Aufgaben und Ämtern. Sie durchzieht unsere Gesellschaft. Der Rat hätte die Aufgabe, gesellschaftliche Solidarität und Empathie in Köln durch Maßnahmen in allen kommunalen Politikfeldern zu fördern. Wie man das macht, können wir in der heutigen Sitzung in vielen Tagesordnungspunkten durchdiskutieren.
Wegen meiner begrenzten Redezeit möchte ich jetzt nur noch auf etwas hinweisen, was wir in Kürze einfach tun können: Gemeinsam am 1. Juni auf der Deutzer Werft demonstrieren, bei der Kundgebung: "Arsch huh für Demokratie - Rechtsextremismus stoppen" von "Köln stellt sich quer" und der Initiative "Arsch huh, Zäng ussenander".
Nach einer Aussprache über das Thema der Aktuellen Stunde wurde die Angelegenheit zur weiteren Behandlung in den Hauptausschuss verwiesen.