Der neue Schulentwicklungsplan - eine Chance für längeres gemeinsames Lernen

Sengül Senol

Rede in der Ratssitzung am 13.10.2011

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren,

nach dem sogenannten Schulfrieden hat sich die Lage in Köln verändert. Gemeinschaftsschulen wird es nicht mehr geben, Sekundarschulen ohne Oberstufen machen wenig Sinn.
Sie stehen in Gefahr, von den Eltern nicht angenommen zu werden und das Schicksal der Hauptschule zu erleiden.

Längeres gemeinsames Lernen wird in Köln von 66% der 2010 befragten Bürger befürwortet. Die Gesamtschulen zeigen, wie es geht. Sie zeigen auch, wie gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern möglich ist. Doch die vorhandenen 9 Gesamtschulen reichen nicht aus, das ist seit Jahren bekannt.

Der integrierte Jugendhilfe und Schulentwicklungsplan Köln geht auch auf dieses Problem ein. Für mehr als 500 Schüler und Schülerinnen, die jedes Jahr wegen Platzmangels von den Gesamtschulen abgewiesen werden, muss kurzfristig ein Platz an einer Gesamtschule geschaffen werden.

Die Probleme mit der benötigten Grundstücksgröße für Neubauten von Gesamtschulen sind uns bekannt. Deshalb schlagen wir eine Kombination von zu erwerbenden Grundstücken und anderen kreativen Lösungen vor.

Große Grundstücke gibt es z.B. in Bayenthal, auf dem Clouth-Gelände, dem Helios Gelände und dem CFK Gelände in Kalk. Wenn die Stadt dort Grundstücke erwirbt und Gesamtschulen baut, dauert das allerdings mehrere Jahre.
Auch die Bildungslandschaft Altstadt Nord sollte nochmals genauer geprüft werden.

Wir brauchen eine schnellere Lösung für die Kinder, die heute eine Gesamtschule besuchen wollen. In der Zwischenzeit könnten neue Gesamtschulen, ähnlich wie die Gesamtschule Nippes, in kleineren leerstehenden Gebäuden beginnen oder als Dependancen von bestehenden Gesamtschulen eingerichtet werden und später in ein größeres Gebäude umziehen.

Schnellere Lösungen sind auch durch Umwandlungen von Schulzentren zu erreichen.
Die Hauptschul- und Realschulklassen einiger Schulzentren bestehen überwiegend aus Kindern, die von Gesamtschulen abgewiesen wurden. Diese Kinder und ihre Eltern würden sich nichts mehr wünschen, als dass dieses Schulzentrum eine Gesamtschule wäre. (Wir würden gerne von der Stadt eine Übersicht über die vorhandenen Schulzentren erhalten mit der Angabe welche Schulen mit welcher Zügigkeit dort zur Zeit untergebracht sind und woher die Schüler kommen).

Wie könnte das gehen?
Die in Schulzentren getrennt nebeneinander existierenden Schulformen könnten entweder ausgelagert werden oder auslaufen, während die neuen 5 Klassen der Beginn einer Gesamtschule wären. So wie 1975 vier Gymnasien in Holweide, Höhenhaus, Chorweiler und Zollstock in Gesamtschulen umgewandelt wurden, indem die Gymnasien über 8 Jahre bis zum Abitur ausliefen, während von unten die Gesamtschulen aufgebaut wurden, so könnte es auch heute gehen.
Gute Erfahrungen mit diesem Verfahren liegen in Köln vor.

Allerdings müsste man die Kollegien der auslaufenden Schulen nach und nach in die neuen Schulen übernehmen, wenn sie das wollen. Das würde die Akzeptanz eines solchen Verfahrens unter den Lehrkräften sehr erhöhen.

Dazu müssten die Errichtungsbedingungen für Gesamtschulen allerdings geändert oder angepasst werden. Wenn die Kommunen heute die Entscheidung über ihre Schulstruktur treffen, müssten sie auch Einfluss auf die Errichtungsbedingungen nehmen können.

Ich möchte nun ganz besonders auf das rechtsrheinische Köln eingehen.

Nach Aussage der Verwaltung gibt es dort genügend Schulraum, weshalb nicht an die Errichtung einer weiteren Gesamtschule gedacht sei.

Allerdings befindet sich der vorhandene Schulraum vor allem an gegliederten Schulen ? Hauptschulen, Realschulen, ein Gymnasium. Die zwei erreichbaren Gesamtschulen in Kalk und Holweide haben viel zu wenige Plätze. Sie mussten zusammen dieses Jahr 188 Kinder abweisen.

Eine Erweiterung des Kalker Gymnasiums ist beschlossen. Doch in Kalk erhalten nur 17% der Schüler eine Schulformempfehlung das Gymnasium, in Lindenthal sind es 79%, im Kölner Durchschnitt 40%.

Kalker Kinder sind nicht dümmer, nur ärmer. Und mehr als die Hälfte sind Migranten.

In Kalk gibt es ein großes Potential an möglichen Abiturienten, die aber im gegliederten System nicht zum Zug kommen. Die Talente der Kinder in Kalk werden verschwendet; die Talente vieler Kinder aus Migrantenfamilien, von Kindern aus armen Familien.

Die Gesamtschule ist nachweislich viel besser in der Lage, die Fähigkeiten dieser Kinder zu fördern und sie bis zur Hochschulreife zu bringen. 70% der Abiturienten an Gesamtschulen hatten keine Schulformempfehlung für das Gymnasium.

Deshalb müssen vorrangig in Stadtteilen, wo dieses Ungleichgewicht an Gymnasiasten besteht, Gesamtschulen eingerichtet werden.

Der integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplan nennt als benachteiligte Stadtteile Kalk, Mühlheim, Chorweiler, Nippes und Ehrenfeld. Leider macht der integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplan ? außer für Kalk - keine Angaben über den Anteil an Gymnasiasten. (Es wäre sinnvoll, diese Zahlen auch für die anderen benachteiligten Stadtteile bekannt zu machen - können wir die bekommen?)
Diese Stadtteile weisen auch die höchste Zahl an abgewiesenen Gesamtschülern auf: Deshalb ist es in Kalk und ähnlichen Stadtteilen nicht sinnvoll, in Gymnasien zu investieren, sondern in Gesamtschulen. Und zwar möglichst bald.

Meine Rede möchte ich mit 5 Standards beenden, die in Kanada in den Schulen angewandt werden.Diese Standards können wichtige Kriterien oder auch ein Credo für unsere Schulen sein.

  1. Ethnokulturelle Gerechtigkeit ausüben und Antirassismus stärken
  2. Geschlechtergerechtigkeit herstellen und Sexismus ausschließen
  3. Diversität in den sozialen Lebensformen zulassen und Diskriminierungen in den sexuellen Orientierungen verhindern
  4. Sozio-ökonomischen Chancengleichheit erweitern
  5. Chancengerechtigkeit von Menschen mit Behinderung herstellen

Vielen Dank!