Der erzieherische Gedanke muss im Vordergrund stehen

Michael Weisenstein

In den letzten Wochen und Monaten wird das Thema Jugendkriminalität in Köln, aber auch bundesweit, intensiv diskutiert.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass das Thema öffentlich Beachtung findet. Dass das Thema immer nur dann in der Öffentlichkeit diskutiert wird, nachdem ein spektakulärer Fall bekannt wurde oder eine Statistik veröffentlicht worden ist, ist schade, aber nichts Ungewöhnliches. Zum Glück gibt es Fachleute die sich ganzjährig mit dem Thema beschäftigen, sodass die inhaltliche Diskussion auf die Statements populistischer Thesen aus allen politischen Schichten gut verzichten könnte. In meinem kleinen Aufsatz werde  ich verschiedene Thesen aufstellen, ohne dabei populistische Forderungen aufzustellen.

 

Das Jugendstrafrecht in der BRD ist ein vernünftiges Jugendstrafrecht

Der Gesetzgeber unterscheidet Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Kinder bis 13 Jahre sind in der BRD straf-unmündig, das heißt,  sie können nicht verurteilt werden. Es wird richtigerweise davon ausgegangen, dass ein Fehltritt eines Kindes ausschließlich aus einem erzieherischen Defizit resultiert. Das heißt jedoch nicht, dass der Staat diesem Problem machtlos gegenüber stünde: Es gibt ein breit gefächertes Angebot der Kinder- und Jugendhilfe, hier können Kinder und deren  Eltern Hilfe in Anspruch nehmen, um dem Problem der Delinquenz bei den Kindern entgegen zu wirken. Im Extremfall   können  Jugendamt, Ärzte und Justiz  dafür Sorge tragen, dass ein Kind mit erheblichen Erziehungsdefiziten in Heimen (eventuell  halb oder ganz geschlossen) betreut und  erzogen oder in Kinder- und Jugendpsychiatrien behandelt  wird.

 

Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr sind strafmündig und können somit nach dem Jugendgerichtsgesetz verurteilt werden. Höchststrafe 10 Jahre. Auch bei den Jugendlichen geht der Gesetzgeber richtigerweise davon aus, dass der erzieherische Aspekt im Vordergrund stehen muss. Auch deshalb sind die Sanktionsmaßnahmen, die verhängt werden, oft erzieherisch ausgeprägt und sehr vielfältig: Arbeitsstunden, Wochenend- oder Ferienarrest  (in eigens dafür vorgesehenen Arrestanstalten). Auflagen können verhängt werden: Teilnahme an Antiaggressionskurs, Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, Wohnen in einem Heim (auch geschlossen:  Hier ist die Zusammenarbeit von Jugendamt, Gesundheitsfürsorge, Vormundschaftsrichter und Strafrichter notwendig). Neben den sehr pluralistisch ausgeprägten Möglichkeiten des Jugendstrafrechtes kann aber auch eine traditionelle Jugendstrafe verhängt werden, liegt das Strafmaß bis zu zwei Jahren kann die Strafe zur Bewährung  ausgesetzt werden. Auch hier sind die Bewährungsauflagen individuell gestaltbar. Bei jedem Jugendstrafverfahren ist ein Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe anwesend, der auch Vorschläge bezüglich des Strafmaßes und Auflagen tätigt. Grundsätzlich können auch Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden, das setzt allerdings voraus, dass Entwicklungsrückstände bei dem jungen Menschen vorliegen, hierüber hat die Jugendgerichtshilfe  als Fachbehörde dem Richter ein Gutachten vorzulegen.

 

Jugendliche begehen Straftaten, weil sie arm sind und schlecht oder gar nicht erzogen.

Der Prototyp des jugendlichen Straftäters ist männlich sehr schlecht gebildet und kommt aus desolaten Familienverhältnissen. Oft haben sich die Eltern nicht ausreichend um ihre Kinder gekümmert, haben keine oder viel zu wenig Grenzen gesetzt.

 Das Jugendamt konnte oder wollte keine teuren Jugendhilfemaßnahmen einsetzten, die Überforderungssituation der Eltern wird immer größer, aus den Streichen des Jungen werden kleine kriminelle Handlungen,  die ersten Sanktionen, die der Junge spürt sind Ausgrenzungen, wie Schulverweis, Hausverbot im Jugendzentrum etc., die juristischen Sanktionen lassen auf sich warten. Immer mehr  zieht sich der Jugendliche  in eine kriminelle Subkultur zurück, es kommen Drogen und Perspektivlosigkeit hinzu. Die Straftaten werden intensiver und häufiger.

 

Die Institutionen, die mit delinquenten Jugendlichen zu tun haben, sind personell und materiell schlecht ausgestattet

Jugendämter, Träger der freien Jugendhilfe und die Justiz  wurden materiell und personell  in den beiden letzten Jahrzehnten systematisch ausgedünnt. Noch immer gehen dreißig Schüler in eine Klasse. Gerade an Hauptschulen befinden sich oft viele sogenannte ?Problemschüler? in einem Klassenverband. Dem Lehrer ist es kaum möglich, auf den Erziehungsbedarf des Einzelnen einzugehen. Gerade Eltern von Hauptschülern haben sich oft bei ihren pubertierenden Kindern aus der Erziehung schon verabschiedet. Unbesuchte  Elternabende in der neunten  und zehnten Jahrgangsstufe zeigen dies überdeutlich. Ein einziger Schulsozialarbeiter  (falls überhaupt vorhanden)   an der Schule, kann nur der Tropfen auf den heißen Stein sein.

 

Aufgrund  der großen zahlenmäßigen Überforderungen arbeiten Justiz, Jugendämter und freie Träger zeitlich sehr stark versetzt, hinzu kommen Kommunikationsprobleme zwischen den genannten Institutionen. Zwischen einem Fehltritt und der Sanktion liegen oft viele Monate oder gar ein Jahr. In dieser Zwischenzeit ist die Gefahr weiterer Fehltritte sehr groß, da aus Sicht des Jugendlichen keine Sanktion erfolgt.  Die desolaten Zustände im Jugendstrafvollzug NRW sind hinlänglich bekannt, so dass keine tiefergehende Erläuterung an dieser Stelle notwendig erscheint. Es ist zu hoffen, dass der Jugendstrafvollzug in Siegburg bald aufgelöst werden kann und in eine neue Anstalt nach Wuppertal verlegt wird, so wie es unlängst die Justizministerin NRW verkündet hat.

 

Was muss sich ändern?

● Familien mit Erziehungsschwierigkeiten müssen frühzeitig intensive  erzieherische Hilfen bekommen.

● Möglichkeit der Ganztagsbetreuung in Horten und Jugendzentren auch für Jugendliche.

● Freizeitangebote durch die Jugendarbeit  auch in Abendstunden und am Wochenende.

● Jugendämter, freie Träger, Jugendgerichtshilfe und Justiz müssen deutlich mehr Personal und Geld  bekommen (Verdoppelung). Die Zusammenarbeit muss optimiert werden.

● Jugendstrafanstalten dürfen keine Verwahranstalten sein. Es müssen pädagogische Einrichtungen werden.

● Mehr Jugendzentren, Förderung von Sport- und Freizeitvereinen, damit diese in die Lage versetzt werden auch schwierige  Jugendliche aufzunehmen.

● Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, Verkleinerung der Klassen auf maximal 20 Schüler. Obligatorische Schulsozialarbeit  an jeder Schule.

● Ausbildungsplätze für alle jungen Leute schaffen.