Demokratische Beteiligung stärken

Antrag zur Ratssitzung am 28.06.2012, verschoben auf die Novembersitzung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Roters,

die Fraktion DIE LINKE bittet um die Aufnahme des folgenden Antrages auf die Tagesordnung der kommenden regulären Sitzung des Rates:

Der Rat der Stadt Köln möge beschließen:

  1. Die Verwaltung prüft, ob und wie noch vor der bevorstehenden Bundestagswahl 2013 und der Kommunalwahl 2014 die Sozialstruktur und die Motive der Nichtwählerinnen und -wähler erfasst werden können.
    Als Alternative soll die Erhebung dieser Sozialdaten im Rahmen der üblichen Einwohnerumfrage, die zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden wird, geprüft werden.
    Diese sensiblen Daten sollen dem Amt für Stadtentwicklung und Statistik Wahlanalysen, Analysen über Bürgerbeteiligungen und eventuelle andere statistische und soziale Untersuchungen ermöglichen.
  2. Die Verwaltung möge in ihrem Prüfbericht darlegen:
    ? wie hoch die Kosten einer solchen Erhebung wären;
    ? wie die so erfassten Sozialdaten neben den Wahlen auch hinsichtlich anderer Formen der Einwohnerbeteiligung genutzt werden können, z. B. für eine bessere Beteiligung am Bürgerhaushalt;
    ? inwiefern eine langfristige Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit geeigneten Forschungseinrichtungen in diesem Bereich nutzbringend sein könnte;
    ? wie auf Basis der erhobenen Daten Maßnahmen entwickelt werden können, um die Teilnahme an parlamentarischen Wahlen und anderen Formen der Einwohnerbeteiligung zu verbessern ? insbesondere in Stadtteilen mit hoher und/oder mit steigender Wahlenthaltung.

Begründung:

Seit 1975, als die Wahlbeteiligung an der Landtagswahl in Köln mit 81,0 % ein Allzeithoch erreichte, ist die die Beteiligung an Wahlen immer weiter gesunken. Bei der Landtagswahl 2012 gaben gerade einmal 59,3 % der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Bei der Kommunalwahl 2009 war die Zahl der Nichtwähler noch dramatischer: Nur 49,1 % der Berechtigten nahmen an der Wahl teil.

Das Amt für Stadtentwicklung und Statistik schreibt in seiner aufschlussreichen und nachdenklichen Kurzwahlanalyse zur Landtagswahl 2012 auf Seite 35:
?Mit steigender Wahlenthaltung verliert die Gruppe der politikfernen Nichtwähler allerdings immer stärker an direktem politischem Einfluss, da ihre Meinung durch die hohe Wahlenthaltung nicht mehr in dem Maße in den allgemeinen Willensbildungsprozess einfließt, wie es ihrem Anteil an der Gesellschaft entspräche.?
Immer größere Teile der Bevölkerung nehmen dieses Mittel der politischen Willensbildung nicht wahr. Sie sind vom politischen Geschehen abgehängt.

Das Amt für Stadtentwicklung und Statistik führt weiter aus: ?Dies ist insbesondere dann fatal, wenn davon ausgegangen werden muss, dass sie sich aus Bevölkerungskreisen zusammensetzt, die sich deutlich von der restlichen Bevölkerung unterscheidet.?
Ein Blick auf die Wahlbeteiligung in den einzelnen Stimmbezirken gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass es bei den Nichtwählern eine soziale Spreizung gibt: In Kölnberg (Meschenich), in Westend (Bickendorf), in Chorweiler, Mülheim-Nord, Ostheim-Nord und Finkenberg (Porz) liegen Stimmbezirke mit einer Wahlbeteiligung um die 30 % oder darunter. Dagegen finden sich in Lindenthal, Klettenberg und Sülz sowie in Bayenthal Stimmbezirke mit einer Wahlbeteiligung von über 80 %.

In seiner Kurzanalyse stellt das Amt für Stadtentwicklung und Statistik die deutlichen Unterschiede dieser Wohngegenden hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialer Kriterien wie Einkommensniveau, Arbeitslosenquote, Bildungsnähe oder Anteil Alleinerziehender heraus.

Der Kölner Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Dr. Armin Schäfer warnt in seinem Aufsatz ?Der Nichtwähler als Durchschnittsbürger: Ist die sinkende Wahlbeteiligung eine Gefahr für die Demokratie?? vor den Folgen einer geringen Wahlbeteiligung einzelner sozialer Milieus:
?Sinkt die Wahlbeteiligung, leidet die Qualität der Demokratie, weil die Nichtwähler nicht der Mitte der Gesellschaft entstammen. Denn die Demokratie ist dem Ideal politischer Gleichheit verpflichtet: Da allen Bürgern die Fähigkeit zugesprochen wird, ihre Interessen selbst am besten beurteilen zu können, verfügt jeder Wahlberechtigte unabhängig von Einkommen, Bildung oder Schichtzugehörigkeit über eine Stimme. Die Übertragung des Stimmrechts auf Dritte oder ein Mehrfachstimmrecht für höher Gebildete sind mit unserem Demokratieverständnis nicht vereinbar.?

Wie das Amt für Stadtentwicklung und Statistik darlegt, erfolgt die Analyse der Sozialstruktur der Stimmbezirke mit hohem Nichtwähleranteil nur ?hilfsweise? und kann die Analyse der Sozialstruktur der Nichtwähler nicht ersetzen:
?Um die (Sozial-)Struktur der Nichtwähler bei der zurückliegenden Landtagswahl zu ermitteln, hätte man diese Gruppe befragen müssen. Dies ist ? an einem Wahltag ? jedoch nicht möglich.?

Um vor den nächsten Wahlen eine solche Analyse durchzuführen und Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen zu können, muss eine Erhebung der Sozialstruktur zügig angegangen werden.

Mit freundlichen Grüßen,
Jörg Detjen, Fraktionssprecher
Gisela Stahlhofen, Fraktionssprecherin