Das Konzept Beteiligungshaushalt: Von Porto Alegre über Berlin nach NRW

Michael Weisenstein

Am letzten Samstag führte das Kommunalpolitische Forum NRW ein Seminar zum Thema Beteiligungshaushalt durch. Als Referenten traten Prof. Dr. Antonio Andrioli, Soziologe, Universität Linz (Österreich) und Porto Alegre

(Brasilien), Jörg Detjen (Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Köln, DIE LINKE) und in Vertretung für die verhinderte Bezirksbürgermeisterin aus Lichtenberg, Christina Emmrich, die ehemalige Landessprecherin des Landesverbandes DIE LINKE. NRW, Ulrike Detjen, auf.

Das Seminar fand in Duisburg statt. Leider war die Besucherzahl, mit circa 25 Menschen hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben. In der Begrüßung, die durch Hermann Dierkes (Kommunalpolitisches Forum NRW) erfolgte, wurde die Bedeutung der Beteiligungshaushalte als Mittel zum Ausbau der kommunalen Demokratie hervorgehoben. ?Das heutige Seminar soll die  Erfahrungen aus Brasilien, Berlin und Köln an interessierte Menschen aus anderen Städten weitergeben, um Anregungen für einen Beteiligungshaushalt in der eigenen Heimatkommune zu erhalten.?

Prof. Dr. Antonio Andrioli berichtete aus Brasilien, dass ein wichtiges Ziel bei der Einführung der Beteiligungshaushalte in Porto Alegre die Stärkung der Zivilgesellschaft war.  Die Prinzipien lauten: Autonomie, Transparenz, Objektivität, Freiwilligkeit der Teilnahme und Beschlusskontrolle. 1988 begann der Prozess zum ersten Beteiligungshaushalt in Brasilien. Es ging hierbei um die Entprivatisierung des Staates und um die Entwicklung direkter Demokratie.

Porto Alegre ist eine Stadt mit circa 1,4 Millionen Einwohnern. Die Stadt liegt in einer für brasilianische Verhältnisse reichen Region. Zur Durchführung des Beteiligungshaushaltes wurde die Stadt in 16 Bezirke aufgeteilt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten über 20 % des städtischen Haushaltes entscheiden. Dies ist der Anteil des Investitionshaushaltes.

Beim ersten Beteiligungshaushalt Ende der 1980er Jahre haben 750 Menschen teilgenommen, zwischendurch waren es sogar 30.000 Bewohnerinnen und Bewohner Porto Alegres, zuletzt ca. 10.000 Frauen und Männer. Während die Geschlechterverteilung im Rat der Stadt Porto Alegre ungefähr 85:15 betrug, waren die Frauen beim Beteiligungshaushalt wesentlich besser vertreten. Hier stellten sie 50 % der TeilnehmerInnen. Beachtlich auch, dass der Anteil der Analphabeten, die beim Beteiligungshaushalt mitmachten, sehr hoch war.

Die Einwohnerinnen und Einwohner von Porto Alegre haben gemerkt, dass sich durch den Beteiligungshaushalt tatsächlich etwas im Lebensumfeld verbessert. Zum Beispiel wurde das Abwassernetz in Porto Alegre auch in den schlechteren Wohnvierteln der Stadt verbessert. Auch die Region, der Porto Alegre angehört, hat einen Beteiligungshaushalt durchgeführt. Bis zu 300.000 von 10 Millionen Einwohnern haben teilgenommen.

Durch den Beteiligungshaushalt in der Region konnte verhindert werden, dass Staatsgelder an die Autokonzerne, GM und Ford geflossen sind. Allerderdings wurden die Subventionen an die Konzerne schließlich aus Regionen finanziert, die keinen Beteiligungshaushalt durchgeführt haben. Andrioli kritisierte in seinem Referat, dass der Beteiligungshaushalt für den Gesamtstaat und auch für die Arbeiterpartei Lunas in Brasilien keine Rolle (mehr) spielt.

Ulrike Detjen berichtete, dass 2005 der Bürgerhaushalt in Lichtenberg zum ersten Mal durchgeführt wurde. Mittlerweile ist der vierte Bürgerhaushalt in dem Stadtbezirk mit circa 256.000 Einwohnerinnen in Vorbereitung. Die Verwaltung schreibt dazu alle Einwohnerinnen und Einwohner des Stadtbezirkes an, erklärt in diesem Schreiben gut verständlich den Haushalt und fordert die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen beim Beteiligungshaushalt auf.

Mitmachen können nicht nur alle Leute, die in Lichtenberg leben, sondern auch Menschen, die im Bezirk arbeiten. Alle können das ganze Jahr über Vorschläge machen.

30 Millionen Euro stehen jährlich für den Bürgerhaushalt zur Verfügung. Das Gesamtvolumen des Lichtenberger Haushaltes beträgt 504 Mio. Euro. Der Bürgerhaushalt bezieht sich nicht auf Pflichtleistungen.

Die Vorschläge werden im Internet gewertet. In den 13 Stadtteilen des Bezirkes wird je eine Versammlung durchgeführt, in welchen die meistgenannten  Vorschläge diskutiert werden. Außerdem werden diese Konferenzen zur Beschlusskontrolle genutzt. Die Vorschläge werden nach der Diskussion einer repräsentativen Kommission vorgelegt. 15 von 75 Vorschlägen wählt diese Kommission aus. Es folgt ein Lauf durch die Fachausschüsse. Abschließend werden die Vorschläge in die Realität umgesetzt. So konnte z. B. eine vietnamesische Bibliothek in Lichtenberg verwirklicht  werden.   

Seit 2003 ist der Bürgerhaushalt ein Thema in Köln, berichtete Jörg Detjen. Man hat sich positiv auf Porto Alegre bezogen. 

Köln steht mit dem Bürgerhaushalt am Anfang. Vorschläge und Abstimmung in Köln erfolgen über das Internet. Leider haben beim Kölner Bürgerhaushalt wenig Migranten und wenig Menschen mit Haupt- bzw. Volksschulabschluss mitgemacht. Es kann davon ausgegangen werden, dass  sich das Projekt Bürgerhaushalt in den nächsten zwanzig Jahren positiv entwickeln wird.

Zunächst waren ? nur? die Bereiche Straßen und Plätze, Grünanlagen und Sport berücksichtigt.  Es haben 11.000 Leute mitgemacht, die jeweils 100 meistgenanten Vorschläge aus den drei Bereichen werden, nachdem sie in den Fachausschüssen beraten worden sind, verwirklicht.  Künftig sollen weitere Bereiche hinzukommen, zum Beispiel der Kulturbereich.

Das Projekt wird wissenschaftlich vom Fraunhofer Institut begleitet.  Beim Kölner Bürgerhaushalt werden circa 17 Mio. Euro bewegt.