Bürgerbefragung zum Godorfer Hafen: Mehr Chancen als Risiken für die Hafen-GegnerInnen

Claus Ludwig

Die Fraktion Die LINKE. hat im Rat für eine Bürgerbefragung mit einem 10prozentigen Quorum unter Einschluss aller in Köln gemeldeten BürgerInnen ab 16 Jahre gestimmt. Die AG Contra Erweiterung des Godorfer Hafens und andere Aktive aus der Bewegung gegen den Ausbau haben sich kritisch zu dieser Entscheidung geäußert. Sie haben gefordert, keine Bürgerbefragung vor einem für den Herbst erwarteten Urteil des OVG Münster zur Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsverfahrens zu starten.

Meiner Meinung nach war es richtig von uns, mit einem Änderungsantrag die Senkung des Quorums von 20 auf 10% sowie die Einbeziehung der Nicht-EU-BürgerInnen zu fordern und am Ende dafür zu stimmen. Die Bürgerbefragung bietet unter dem Strich mehr Möglichkeiten als Risiken für die GegnerInnen des Hafen-Ausbaus.

Meine These: Das Projekt Godorfer Hafen wird nicht ein für allemal versenkt werden können ohne eine erneute Kampagne von Mobilisierung und Aufklärung. Um ein solches Großprojekt zu stoppen, muss Stimmung in der Bevölkerung aufgebaut werden, muss die Politisierung voran getrieben werden.

Gegensätzliche Interessen

Allein die besseren Argumente der Ausbau-GegnerInnen werden den Kampf nicht entscheiden. Für die Befürworter des Godorfer Hafens, sind die Argumente nicht entscheidend. Es ist ja nicht so, dass die Niehler Kapazitäten der HGK bisher unbekannt waren. Die Ausbau-Befürworter setzen bei vollem Bewusstsein auf den Aufbau von Überkapazitäten im Container-Bereich, um Köln in der Konkurrenz gegenüber den anderen Binnenhäfen zu positionieren.

Gesamtgesellschaftlich ist dieser Aufbau von Überkapazitäten und die Konkurrenz der Binnenhäfen irrsinnig, aber für die einzelnen, miteinander konkurrierenden Hafen-Betreiber bzw. die verschiedenen Transport-Unternehmen macht das durchaus Sinn. Die Interessen der Bevölkerung, ein Naherholungsgebiet zu erhalten und öffentliche Gelder nicht für den Aufbau umweltschädlicher Transport-Überkapazitäten zu verschwenden, stehen den Interessen der HGK und der mit ihr verbündeten Transport-Unternehmen entgegen, ein größeres Stück vom Kuchen des angeblich unendlich wachsenden Binnenschiffsverkehr abzubekommen.

Die Hafen-GegnerInnen sollten nicht darauf vertrauen, dass der Ausbau durch die Gerichte gestoppt wird. Auch wenn das OVG Münster im Herbst das Planfeststellungsverfahren als unrechtmäßig zurück weist, ist der Ausbau des Godorfer Hafens noch nicht gestorben. Die HGK wird das nächste Verfahren in Gang setzen, ob das OVG dabei besonders hohe Hürden aufbaut, ist offen. Die Sürther Aue würde nicht zurück gewonnen werden, das Hin- und Her würde weitere Jahre dauern.

Daher komme ich auf meinen Punkt von oben zurück: Ohne den Godorfer Hafen zum Thema in ganz Köln bzw. über Rodenkirchen hinaus zu machen, ohne eine Debatte in der Stadt, ohne einen gesellschaftlichen Konflikt, werden die Ausbau-Pläne nicht gestoppt werden.

Möglichkeiten und Grenzen von Plebisziten

Sind das Quorum von 10% und eine köln-weite Abstimmung ?gerecht?? Nein. Es ist ungerecht, dass die Stimmen der SürtherInnen nicht mehr zählen als die der Leute in Kalk, Mülheim usw., die weit indirekter vom Hafen betroffen sind. Es wäre auch nicht gerecht, wenn es eine baden-württemberg-weite Abstimmung über Stuttgart 21 gäbe, denn schließlich wird vor allem der Stuttgarter Bevölkerung ihre Innenstadt samt Bäumen genommen.

Es war im Kölner Rat jedoch nicht möglich, eine Bürgerbefragung ohne Quorum oder nur in Sürth bzw. Rodenkirchen durchzusetzen. Die Alternative wäre gewesen, keine Befragung zu machen. Was uns wieder zum Anfang des Artikels zurück führt: Wie groß sind die Risiken, wie groß kann der Nutzen sein?

Bürgerbegehren und andere plebiszitäre Elemente können ein Mittel sein, den Widerstand z.B. gegen Großprojekte zu befördern. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass dies in jedem Fall gilt. Wegen der ungleichen Verteilung von Medienmacht, wegen der Möglichkeit der Herrschenden, die Fragestellung zu formulieren, sind Bürgerbegehren oftmals nicht das beste Mittel in einem Kampf. Gerade wenn die Bewegung weiter fortgeschritten ist, ist die kämpferische Renitenz der direkt Betroffenen und ihrer Unterstützerinnen wichtiger als Bürgerbegehren. Massendemonstrationen, Blockaden oder Besetzungen von Baustellen wie in Stuttgart, Streiks von SchülerInnen und Beschäftigten sind unter dem Strich die entscheidenden Methoden, weil sie von der Bewegung selbst kontrolliert und gezielt eingesetzt werden können.

Konkret gibt es zwar anhaltenden Protest in Sürth, aber keine Massenbewegung gegen den Ausbau des Godorfer Hafens. Größere Demos oder gar Blockaden sind nicht in Sicht (und würden angesichts des vom OVG verhängten Baustopps auch wenig Sinn machen).

Die Bürgerbefragung bietet hingegen in der jetzigen Situation den Ausbau-GegnerInnen die Möglichkeit, eine massenhafte Aufklärungskampagne zu starten. Sie haben die besseren Argumente. Es gibt großes Misstrauen in der gesamten Bevölkerung gegen Großprojekte. Die GegnerInnen können am Kampf gegen Stuttgart 21 anknüpfen und am Berliner ?Wasserbegehren?, mit dem der Senat gezwungen werden soll, die Verträge zur Privatisierung der Wasserwerke offenzulegen.

Die vom Rat am 1. März beschlossene Fragestellung - ?Soll der Godorfer Hafen weiter ausgebaut werden?? ist übrigens klar verständlich und ermöglicht den GegnerInnen, deutlich ?Nein? zu sagen und dies zu begründen.

Schlichtung bei S21: Rückschlag für die Bewegung

Der BUND weist in seinem Kommentar zum Ratsbeschluss zu Recht darauf hin, dass die ?geballte Medien- und Lobbymacht? der Ausbau-BefürworterInnen ein Problem darstellt. Allerdings würde das auch gelten, wenn das OVG-Urteil erfolgt wäre und das Logistikonzept vorgelegt würde. Der BUND erwähnt das ?Schlichtungsverfahren? bei Stuttgart 21 als positives Gegenbeispiel und deutet an, dass ein ähnliches ?neutrales? Verfahren auch im Fall des Godorfer Hafens sinnvoll sein könnte. Das ist tatsächlich eine komplette Fehlinterpretation der Bedeutung des Stuttgarter ?Schlichtungsverfahrens?. Dies führte zu einem massiven Dämpfer für die Bewegung gegen S21, obwohl diese im Lauf des Verfahrens ihre überlegenen Argumente darlegte. Aber es war die schon erwähnte geballte Medien- und Lobbymacht, welche den ?Schlichter? Geißler als neutral darstellte, obwohl sein Auftrag war, S21 zu retten.

Die Bewegung brauchte einige Wochen, um sich von diesem Rückschlag zu erholen. Es war falsch von der Bewegung gegen S21, sich auf dieses Verfahren einzulassen. ?Expertenrunden? und Sach-Argumente sind nicht neutral, sondern unterliegen der Deutungshoheit der Medien und der etablierten Kräfte. Ein Sieg gegen ein Großprojekt ist nur durch die Aufklärung und Mobilisierung der Bevölkerung möglich, im Idealfall durch Massenaktionen und direkten Widerstand, im weniger idealen Fall durch eine Bürgerbefragung.

Argumentation der GegnerInnen

Es wird vor allem darum gehen, nicht zu ?Godorf-spezifisch? zu argumentieren, sich nicht auf Details der Container-Lagerung zu konzentrieren, sondern an der allgemeinen Stimmung gegen Klüngel und Prestigeprojekte anzusetzen. Die Aktionsgemeinschaft sollte nicht der Versuchung erliegen, selbst das bessere Konzept zur Container-Lagerung in Köln entwickeln zu wollen. Solche Details dürften weder in Sürth noch in Mülheim die Masse der Leute interessieren.

Auch das Warten auf die Vorlage eines regionalen Logistik-Konzeptes ? welches keineswegs frei von Interessenpolitik wäre und unterschiedlich interpretiert werden könnte ? würde die Ausgangsbedingungen einer Bürgerbefragung nicht verbessern.

Die Ausbau-GegnerInnen wären gut beraten, wenn sie ihre Argumentation auf drei Pfeiler stützen würden: 1) Gegen die Zerstörung der Sürther Aue als Naherholungsgebiet; das ist für alle nachvollziehbar; 2) Gegen die Konkurrenz der Städte und den Aufbau von Überkapazitäten; 3) Gegen den ?Transportwahn?, gegen das Wachstum des Hin- und Herfahrens von Waren auf Straße, Schiene und Flüssen, ohne, dass dadurch der Wohlstand wächst. Die reichlichen Lagerkapazitäten in Niehl können die Argumentation stützen, aber sollten nicht im Mittelpunkt der Kampagne stehen.

Alle KölnerInnen dürfen abstimmen!

Die LINKE. ist auch kritisiert worden, weil wir durch unseren Änderungsantrag, alle KölnerInnen über 16 Jahre einzubeziehen, das Quorum erhöht haben, statt 78.000 sind jetzt 90.000 Stimmen nötig.

Zugegeben, das macht es etwas schwieriger, die Stimmen zusammenzubekommen. Doch wieso sollten türkische oder russische BürgerInnen nicht erreichbar sein? Gerade wenn die Ausbau-GegnerInnen Material in den jeweiligen Sprachen herstellen, wird die Resonanz darauf sehr positiv sein. Auch die MigrantInnen leiden unter der Verschwendung öffentlicher Gelder für von Privatinteressen gesteuerte Prestigeprojekte.

Dazu kommt: Damit wurde ein Präzedenzfall zur Einbeziehung von MigrantInnen geschaffen. In zukünftigen Debatten wird es den etablierten Parteien schwerer fallen, gegen die Beteiligung von MigrantInnen zu argumentieren. Damit sind demokratische Rechte gestärkt und mehr Möglicheiten für gemeinsames Agieren von Deutschen und MigrantInnen für ihre sozialen Interessen in der Kommune geschaffen worden.

Keine Angst vor den BürgerInnen

Das Quorum kann erreicht werden, auch, wenn das nicht einfach wird. In diesem Fall wäre die Sache klar, ein Sieg wäre errungen, der zum Stopp des Projekts führen könnte ? wenn Roters und die SPD nicht auch noch den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit riskieren wollen.

Wird das Quorum nicht erreicht, aber kommt eine eindeutige Mehrheit gegen das Projekt zustande, wäre auch dies keine Niederlage für die Hafen-GegnerInnen, sondern würde helfen, das Projekt zu delegitimieren und den Protest zu verbreitern, auch wenn keine Entscheidung zustande käme.

Die Aktionsgemeinschaft schreibt auf ihrer Website: ?Es bleibt auch das große Manko, dass wenn niemand für den Ausbau stimmt aber 91.000 Stimmen gegen den Ausbau abgegeben werden, der Ausbaubeschluss von 2007 dennoch weiter gültig ist.?

Das ist, offen gesagt, purer Quatsch. Warum sollten wir das Quorum so ernst nehmen!? Wenn es eine eindeutige Mehrheit gegen den Ausbau gibt und nur wenige BefürworterInnen an der Abstimmung teilnehmen, dann mag zwar der Beschluss von 2007 formal gelten, aber es wird politisch schwieriger, ihn durchzusetzen. Mit einer eindeutigen Mehrheit im Rücken wäre massivere Proteste als zuvor möglich.

Auch der Kommentator von koeln-nachrichten.de, der den Ratsbeschluss einen ?fulminanten Sieg für die Ausbaubefürworter? nennt, liegt komplett daneben. Recht hat er nur mit seiner Vermutung, dass die Grünen die großen Verlierer sein werden, weil sie ? offensichtlich, um die Koalition zu retten ? im Rekordtempo umgefallen sind. Aber das schwächt die Ausbau-GegnerInnen noch lange nicht. Nur wenn eine Mehrheit für den Ausbau des Hafens zustande kommt, wäre das eine Niederlage für die Bewegung. Klar existiert das Risiko, dass die Befürworter ihre mächtigen Apparate in Gang setzen, um die Stimmung für den Hafen-Ausbau zu schüren. SPD, CDU, die Gewerkschaftsbürokratie, Stadtverwaltung, HGK und Arbeitgeberorganisationen haben weitaus mehr Mittel zur Verfügung als die Ausbau-GegnerInnen. Aber ein Sieg für die Ausbau-Befürworter würde allen Einschätzungen der Stimmung in der Bevölkerung aus den letzten Jahren widersprechen. Wenn man dies für eine reale Möglichkeit hält, dann war es im Nachhinein auch 2007 falsch gewesen, dass Bürgerbegehren in Gang zu setzen.

Die Ausbau-GegnerInnen brauchen keine Angst vor den BürgerInnen haben. Es wird nicht einfach sein, die Menschen an die Urne zu bekommen, weil viele das Thema nicht als wichtig genug ansehen oder denken, sie hätten damit nichts zu tun. Doch das Misstrauen gegen die Projekte der Herrschenden und die Opposition gegen die Verschwendung öffentlicher Gelder sitzen tief. Wenn die Ausbau-GegnerInnen daran anknüpfen, werden sie die relativen oder sogar absoluten Sieger der Bürgerbefragung sein. Es ist jetzt keine Zurückhaltung angesagt, sondern ein offensives Aufgreifen der Fragen, um den Plänen zum Ausbau des Godorfer Hafens einen weiteren Schlag zu versetzen.

Es ist wichtig für die organisierten Ausbau-GegnerInnen zu verstehen, dass der Streit nicht in erster Linie juristisch oder gar über die besseren Logistik-Konzepte entschieden wird, sondern indem man die BürgerInnen auf seine Seite bekommt und so den politischen Preis für die Befürworter in die Höhe treibt.

Die Aktionsgemeinschaft schreibt auf ihrer Website, dass die Bürgerbefragung den Streit um den Godorfer Hafen nicht beenden wird. Das mag sein. Aber sie bietet den GegnerInnen gute Möglichkeiten zu punkten und den Streit zu einem späteren Zeitpunkt zu ihren Gunsten zu entscheiden. Solche Auseinandersetzungen werden nicht über Konzepte und Argumente oder die Gerichte entschieden, sondern im Kampf um die Köpfe der Bevölkerung. Die Bürgerbefragung bietet dazu Möglichkeiten.