Aufwachsen in Köln-Kalk

Andrea Kostolnik

Fraktion und Ortsverband ?Schäl Sick? besuchen Jugendhilfeeinrichtungen im Stadtteil

 

Nach dem Tod ihres Freundes und Mitschülers Salih H. protestierten Kalker Jugendliche tagelang friedlich gegen Diskriminierung, für mehr Chancengleichheit und Perspektiven. Die Fraktion hatte die Proteste begleitet. Nach ihrem Ende reifte die Idee, ein Kalk-Programm zu erstellen.

Es soll aufzeigen, wie man die Chancen junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Kalk verbessern kann. Von Anfang an beteiligten sich auch viele Menschen aus dem Ortsverband ?Schäl Sick? der LINKEN. Köln. Im Sommer soll das Programm vorliegen. Doch zunächst galt es, sich über die Situation in Kalk zu informieren.

An einem Samstag im April besuchten 12 Menschen aus der Fraktion und dem Ortsverband ?Schäl Sick? fünf Einrichtungen im Stadtteil. Der Offene Treff der Evangelischen Kirche, der Offene Treff des Pavillons, die Abenteuerhalle Kalk, das Bürgerzentrum und das Naturfreundehaus haben alle mit Jugendarbeit zu tun. Auf den ersten Blick scheint damit das Netz von Treffpunkten und Hilfeangeboten in Kalk dicht gewebt zu sein. Auf den zweiten Blick bietet sich ein differenzierteres Bild.

Der Offene Treff der Evangelischen Kirche bietet ein beeindruckendes Spektrum von Gruppenangeboten an. Obwohl es eine konfessionelle Einrichtung ist, hat ein großer Teil der BesucherInnen einen Migrationshintergrund. Das ist natürlich nur möglich, weil die Beschäftigten die Kinder und Jugendlichen nicht missionieren, sondern ihre Lebenswirklichkeit akzeptieren. So wird z. B. regelmäßig das Zuckerfest gefeiert.

Der Pavillon wurde vor Jahren maßgeblich von StudentInnen gegründet. Inzwischen wurde er von Kalk-Post (ein Provisorium) auf einem Platz innerhalb der Wohnbebauung umgesetzt und wird inzwischen auch gut von der Nachbarschaft akzeptiert.

Die Abenteuerhalle kann von Gruppen und Einzelpersonen genutzt werden. Für das Klettern und die Halle für BMX-FahrerInnen und SkaterInnen muss Eintritt gezahlt werden. Jugendliche, die sich den Eintritt nicht leisten können, können über Mitarbeit im Haus kostenlose Eintrittsgutscheine erwerben.

Das Bürgerzentrum macht Projektarbeit, bietet aber kaum kontinuierlich Gruppen an. Sie betreuen Kinder nur bis zum Alter von 14 Jahren. Für Jugendliche wird im Haus Projektarbeit angeboten, schwerpunktmäßig in der Gewaltprävention durch Theaterstücke.

Das Naturfreundehaus bietet pädagogische Gruppen an. Themen sind Umwelterziehung, aber auch Kultur- oder Musikangebote. Seine Räumlichkeiten werden auch von selbstorganisierten Gruppen junger MigrantInnen genutzt.

Die einzelnen Einrichtungen haben unterschiedliche Probleme. Ein durchgängiges ist fast immer die Finanzierung. Die städtischen Zuschüsse sind in den letzten Jahren zwar gleich geblieben. Doch der fehlende Inflationsausgleich bedeutet eine faktische Kürzung der Mittel. Dazu kommt, dass die Landesförderung zurückgegangen ist.

Ein weiteres Problem ist die Projektförderung. Die einzelnen Einrichtungen werden i. d. Regel mit einem Sockelbetrag gefördert (beim Pavillon ist noch nicht einmal das der Fall). Projekte werden leichter bewilligt und bezuschusst, doch sie laufen im Normalfall nach ein bis zwei Jahren aus. D. h. sowohl die Jugendlichen als auch die Beschäftigten müssen sich von einem meist erfolgreichen Angebot verabschieden. Die nächste Zeit verbringen die Beschäftigten damit, weitere Projektanträge zu schreiben. Die Jugendlichen verbringen ihre Freizeit derweil auf der Straße.

Für Vernetzungsarbeit bleibt keine (bezahlte) Zeit. Es ist aber wichtig, genau zu wissen, was in Kalk angeboten wird (oder angeboten werden sollte). Nur so kann den Jugendlichen auch bei Problemen weitergeholfen werden, die über die Aufgaben eines Offenen Treffs hinausgehen. Das kann bedeuten, auch ohne Lehrstelle eine Perspektive nach der Schule zu entwickeln oder das ständige Gespräch mit den Schulen zu pflegen.

Auch die bestehende Struktur ist kritisch zu hinterfragen. Die meisten städtischen Mittel fließen in das Bürgerzentrum und die Abenteuerhalle. Das Bürgerzentrum bietet keine niedrigschwellige Anlaufstelle für Jugendliche. Das würde auch seine Aufgaben gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen wie jungen Familien und alten Menschen sprengen.

Die Abenteuerhalle Kalk ist im Bewusstsein vieler Jugendlicher mit 3,50 Euro Eintritt zu teuer. Das haben uns immer wieder Gespräche gezeigt. Auch wenn die Möglichkeit besteht durch ehrenamtliche Arbeit kostenlosen Eintritt zu erlangen, ist es fraglich, ob das in großem Maß angenommen wird. Dazu kommt, dass Skaten und BMX- Fahrrad fahren keine Sportarten sind, die viele arme Jugendliche oder Jugendliche mit Migrationshintergrund betreiben. Einrichtungen wie der Pavillon dagegen, die in erster Linie mit den Jugendlichen auf der Straße arbeiten, bekommen keine institutionelle Förderung.

In einem Stadtteil mit besonderem Hilfebedarf wie Kalk muss DIE LINKE. solidarisch mit den armen und benachteiligten Jugendlichen sein. Angebote für sie sind zu stärken. Die Menschen, die mit ihnen arbeiten, werden viel zu oft auf Honorarbasis beschäftigt. Sie brauchen endlich feste Anstellungen, ein angemessenes Einkommen und die Sicherheit, dass ihr Job auch im nächsten Jahr noch bezahlt wird. Diese doppelte Prekarisierung muss endlich beendet werden: Heute dagegen wird der, der mit benachteiligten Jugendlichen arbeitet, oft noch bestraft.

Andrea Kostolnik