Umlagefinanzierter ÖPNV - Bundesweite Tagung der Linksfraktion in Frankfurt a.M.

Michael Weisenstein
Thema ÖPNVArtikel

Eine dreiköpfige Delegation der Kölner Linksfraktion besuchte letzten Samstag eine spannende Tagung, die von der Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig organisiert worden war. Fast einhundert Menschen fanden den Weg nach Frankfurt: Viele Kommunalpolitiker*innen der LINKEN, der Piraten, vereinzelt auch von den Grünen. Neben Parteienvertreter*innen waren aber auch andere Organisationen, wie beispielsweise die Naturfreunde, anwesend. Eine weitere Besuchergruppe waren örtliche Initiativen, die sich für einen fahrscheinlosen ÖPNV einsetzen.

 

Die große Besucherzahl ist einerseits in der Wichtigkeit des Themas begründet, andererseits wird die Auswahl der sehr kompetenten Referenten zu dem Erfolg der Tagung beigetragen haben. Im Folgenden werde ich die Referate der Dozenten zusammenfassen um anschließend ein kurzes Fazit zu ziehen.

 

Prof. Monheim, Uni Trier (Prof. Monheim war in den 90er Jahren maßgeblich an der Einführung des Semestertickets in NRW beteiligt):

Zunächst beklagte der Referent, dass auch bei dieser Tagung die weiblichen Teilnehmer sehr stark unterrepräsentiert sind. Denn: Die Entscheidungsträger in den Gremien des ÖPNV sind fast immer männlich, die Fahrgäste im ÖPNV aber überwiegend weiblich.
Monheim wies darauf hin, dass der Begriff Nulltarif irreführend und verbrannt ist. Er solle deshalb vermieden werden.
Monheim führte aus, dass der ÖPNV heute unterfinanziert, für den Fahrgast kompliziert (wegen der Tarifgrenzen) und deshalb anfällig für Fehler ist. Die Finanzierung des ÖPNV ist in Deutschland unsicher wegen der in 2019 wegfallenden Regionalisierungsmittel und des wegfallenden Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Eine Lösung für dieses Problem sieht Monheim im umlagefinanzierten ÖPNV: Bei der Einführung dieses Systems würde der ÖPNV schnell in die Gewinnzone fahren.

Im ÖPNV gibt es bereits heute kaum noch einen "Warenpreis", lediglich beim Einzelticket kann noch von einem solchen gesprochen werden. Vielmehr gibt es schon eine Umlagefinanzierung, unter anderem beim Semesterticket, bei Eintrittskarten, die zeitgleich Ticket im Verkehrsverbund sind und beim Jobticket.
Die Einführung eines Flatrate-Tickets wird den Preis gegenüber einem Verkehrsverbundstickets auf circa 25 % des Ursprungspreises reduzieren. Monheim verweist in diesem Zusammenhang auf den Rewe-Konzern und auf Landeskirchen: Hier gibt es jeweils Überlegungen, massenhaft Tickets für die Kunden oder Mitglieder zu kaufen und weiter zu verkaufen. Mit dem Massenrabatt kann ein erheblicher Preisvorteil erwirkt werden.

Ein Einstieg in das Modell könnte die Gründung von Quartiersvereinen sein. Das Ziel: Möglichst viele Vereinsmitglieder kaufen Massentickets und erreichen dadurch einen sehr hohen Rabatt.

 

Gregor Waluga, Wuppertalinstitut:

Der Referent arbeitet derzeit an seiner Doktorarbeit zum Thema umlagefinanzierter ÖPNV. Im Vorfeld der Dissertation hat Waluga ein dreimonatiges Experiment mit drei Gruppen a 14 Probanden in Wuppertal durchgeführt. Die Probanden erhielten ein um 50% rabattiertes Ticktet. Die Probanden waren zuvor alle nur ÖPNV Gelegenheitsnutzer. Keiner der Probanden wusste, dass es sich um ein Forschungsprojekt handelt. Die Ergebnisse der Studie:

  • Die Probanden haben das Auto öfter stehen lassen und sind stattdessen Bus und Bahn gefahren
  • 30 % der Probanden haben nach dem Versuch erstmalig ein Monatsticket für Bus und Bahn gekauft
  • Würde der Preis für das Monatsticket in Wuppertal halbiert, könnte der CO2 Ausstoß in Wuppertal um 13% gesenkt werden.

Derzeit arbeitet Herr Waluga an einem Programm zur Erfassung von Kennzahlen im ÖPNV (Preise, Fahrgäste, Bilanzsummen usw.). Das Programm soll Finanzierungsmöglichkeiten für den umlagefinanzierten ÖPNV errechnen.

 

Matthias Bärwolff, Landtagsabgeordneter Thüringen (DIE LINKE):

Autos sind in der Stadt oft keine Fahrzeuge sondern ?Stehzeuge? und nehmen den Menschen den Platz weg. Andererseits ist Mobilität ein Grundrecht und somit Teil der Daseinsvorsorge.

Bärwolff sieht die Verkehrsunternehmen der Zukunft als Mobilitätsunternehmen, die auch Leihräder und Car­sharing anbieten müssen. Auch die Parkraumbewirtschaftung sollte auf die Verkehrsunternehmen übertragen werden. Die Gewinne müssen dem ÖPNV zu gute kommen.
Die LINKE Landtagsfraktion in Thüringen beschäftigt sich seit langem mit dem Fahrscheinlosen ÖPNV und stellt auf ihrer Seite viele Informationen zur Verfügung.

 

Rechtsanwalt Christian Maaß, Hamburg Institut:

Neben den gesetzlichen Änderungen, die in 2019 bei der Finanzierung des ÖPNV anstehen, sieht Herr Maaß auch die rückgängigen Gewinne in der Energiebranche als ein Problem an. Denn die bislang in vielen Kommunen übliche Quersubvention vom öffentlichen Energiesektor zum ÖPNV wird dann nicht mehr funktionieren. Deshalb müssen folgende Gruppen zur Finanzierung des ÖPNV herangezogen werden:

  • Grundstückseigentümer
  • Bauherren
  • Anbieter von Parkraum
  • Autofahrer über Citymaut
  • Arbeitgeber (Transportsteuer wie in Frankreich)

Der Staat kann auf Landesebene eine Steuer einführen, allerdings ist hier streng zu beachten, dass es keine (auch nicht in Teilen) analoge Bundessteuer gibt. Auf kommunaler Ebene empfiehlt der Jurist die Finanzierung durch Beiträge, denn Beiträge zeichnen sich anders als Gebühren, durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme aus. Die Kompetenz zur Erhebung von Beiträgen liegt unter anderem bei den Städten und Landkreisen.

 

Fazit:

Das Thema umlagefinanzierter ÖPNV stößt bundesweit auf reges Interesse. Die Ausgangslagen in den verschiedenen Regionen sind in Teilen unterschiedlich. Ein Aspekt trifft überall zu: Der ÖPNV braucht neue Wege in der Finanzierung. Da kann ein solidarisches Einwohner*innen Ticket helfen den ÖPNV auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen. In Köln wird man sich über die stufenweise Einführung Gedanken machen müssen. Die Einführung an bestimmten Tagen, zu bestimmten Uhrzeiten oder über einen Aboverein. DIE LINKE wird das Thema mit verschieden Bündnispartnern vorantreiben.

 

Literaturtipp:

Deutsches Institut für Urbanistik Heft 1/14 ?Finanzierung des ÖPNV durch Beiträge?