OMZ muss bleiben!

Rede von Heiner Kockerbeck zur Sonderratssitzung am 29. Juni 2020

Meine Fraktion sieht heute Ansätze von berechtigter Hoffnung für die Situation der 30 Mitbürger*innen des Selbsthilfeprojektes "Obdachlose mit Zukunft. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob diese Hoffnung berechtigt war.

Noch am frühen Morgen des vergangenen Donnerstag waren 300 Polizist*innen zum Südstadion, in die Nähe des Hauses an der Bonner Straße, befohlen worden, um sich dort für die Zwangsräumung der dreißig Menschen im Haus zu sammeln. Die Rückkehr zu einem Leben auf der Straße wäre für die meisten von ihnen die Folge gewesen. Denn in Gemeinschaftsunterkünfte der Stadt wollten sie nicht mehr. Ich weiß das, weil ich seit März das Haus besucht habe. Die vielen osteuropäischen Wanderarbeiter*innen dort wären nie in die Einrichtung in der Vorgebirgsstraße gegangen, die die Stadt ohne Unterstützung von Land und Bund gebaut hat. Dort gibt es enge Vierbettzimmer ohne die Möglichkeit physische Distanz zu halten. Für die Unterbringung in der Coronakrise ist sie nicht geeignet. Die meisten der dreißig Menschen in der Bonner Straße hätten ein Leben auf der Straße vorgezogen. Deshalb war dieser Räumungsversuch für viele Menschen ein Anlass, sich am Morgen des 25.6. vor dem Haus mit den Menschen im Haus zu solidarisieren.

Die Dreißig hatten seit März nicht nur Schutz vor Covid-19 gefunden. Sie hatten sich gemeinschaftlich und friedlich organisiert, räumten auf, schufen grundlegende Bedingungen für das Wohnen. Es handelt sich ja um ein ehemaliges Wohnheim für Arbeiter beim U-Bahn-Bau, keine Gewerbegebäude. Und sie hofften in den vergangenen Monaten auf eine Duldung durch die Stadt, damit sie Zeit haben, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten oder Arbeit zu finden.

Ich kenne einen Mann, nicht mehr ganz jung, der steht seit einiger Zeit jeden Morgen um vier Uhr auf, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Lager einer Supermarktkette zu fahren. Er hatte gute Chancen, dort einen festen Vertrag zu erhalten. Das ist sein Ziel. Seit Donnerstagmorgen muss er um diesen Arbeitsplatz bangen. Denn unter der Drohung der Räumung musste er abrupt am Vorabend Urlaub beantragen und natürlich den Grund nennen. Sein Arbeitsplatz hängt gerade am seidenen Faden. Ich wünsche ihm von hier aus alles Gute, dass seine Träume von einer festen Arbeit und sicherem Wohnraum in Erfüllung gehen.

Diese Situation eines Bewohners des besetzten Hauses zeigt: Alle die, die ein sozialeres Köln, ein Köln der Achtsamkeit auch gegenüber armen Bürger*innen wünschen, können sich weitgehend freuen, dass es einen übergreifenden Konsens der demokratischen Parteien gibt und auch darüber, dass die Oberbürgermeisterin sich besonnen hat.

Die versuchte Räumung am vergangenen Donnerstag hat bei den betroffenen Menschen aber deutliche Spuren hinterlassen. Deshalb ist schon zu fragen: Wiese musste es nach der ersten Räumungsandrohung Ende März nun einen weiteren gewaltsamen Räumungsversuch geben, bei dem bereits drei Hundertschaften Polizei in Stellung gebracht worden waren? Nur der Selbsterhaltungswille des Hauses und die Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Unterstützer*innenkreises hat die Räumung verhindert. Denn die städtische Pressemeldung gab als Grund für den Verzicht in letzter Minute an, dass eine Eskalation im Prozess der Räumung befürchtet wurde.

Die Einsicht in den Sinn, ein solches Selbsthilfeprojekt von Obdachlosen zu unterstützen, musste also aus der Bevölkerung heraus gegen die Stadtverwaltung ertrotzt werden. Deshalb ist heute schon die Frage an die Frau Oberbürgermeisterin notwendig: Wieso konnte das Haus nicht, nachdem es defacto seit Ende März geduldet wurde, weiter geduldet werden? Wieso musste das Haus erst zu einem stadtweit in der Öffentlichkeit bekannten Ereignis werden, bevor sich die Ansicht durchsetzte, dass dieses Selbsthilfeprojekt erhalten werden sollte? Es liegt leider die Schlussfolgerung nahe, dass dabei auch die stark erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit im Rahmen der bevorstehenden Kommunalwahl eine wichtige Rolle spielte. Deshalb ist es wichtig, dass die Oberbürgermeisterin heute ihre Beweggründe für die Entscheidung zur Räumung und ihre Beweggründe davon abzusehen, noch einmal dem Rat und der Öffentlichkeit erläutert.

Doch schauen wir jetzt nach vorne. Der vorliegende gemeinsame Antrag besteht vor allem aus zwei Punkten, der Duldung der Hausbesetzer*innen bis zum Beginn der Abbrucharbeiten und der Bereitstellung eines geeigneten alternativen Standortes für das Selbsthilfeprojekt, das weiter von der Verwaltung begleitet wird.

Meiner Fraktion DIE LINKE ist dabei der Gedanke der Selbstverwaltung in einem solchen Wohnprojekt wichtig. Es wäre ein Zeichen des großen Respekts vor den dreißig Wohnungslosen, dass sie in eigener Aktivität eine Perspektive für Wohnen und Arbeit entwickeln können. Meines Wissens gibt es in Deutschland nirgends ein Selbsthilfeprojekt dieser Art, das auch osteuropäischen Wanderarbeiter*innen einbezieht. Wenn das gelänge, wäre dies eine Maßnahme, die vielen Kölner Bürger*innen, die in einer sozialen Stadt leben wollen, gefallen würde. Dafür werden wir  uns als LINKE einsetzen und hoffentlich auch die Oberbürgermeisterin und die anderen demokratischen Fraktionen.

Unser eigener Entwurf der Resolution, den wir heute Vormittag in die Beratungen der Parteien eingebracht haben, war weitgehender als der jetzige Beschlusstext. Ich möchte neben der Betonung des Gedankens des Selbstverwaltung in einem Projekt für Obdachlose drei weitere Punkte vorbringen:

1. Seit März konnte ich aus der Nähe beobachten, welch hervorragende Arbeit die dort eingesetzten Mitarbeiter der Sozialverwaltung leisteten, mit welcher Zielorientierung und Empathie sie sich für die Menschen einsetzten und dabei auch klar die Rolle der Stadt kommunizierten.

Auch in Zukunft braucht das Haus fachliche, professionelle Begleitung durch die Sozialverwaltung und durch langfristig dort eingesetzte Sozialarbeiter*innen.

2. Zivilgesellschaftliches, ehrenamtliches Engagement wird oft gelobt. Es gibt den Ehrenamtspreis der Stadt Köln. Welch viele Arbeit aber aus dem Kreis der Unterstützer*innen geleistet wurde, mit welchem Einsatz sie die Gemeinschaft im Haus beraten und unterstützt haben auf ihrem Weg, das kann nicht hoch genug gewertschätzt werden. Es ist daher schade, dass der Unterstützer*innenkreis nicht in den Beschlusstext einbezogen wurde.

3. Der alternative Standort des Hauses sollte für soziale Integration, auch Inklusion stehen. Er kann nicht in einem Gewerbegebiet sein. Es kann sich nicht um Container oder ein anderes Gebäude handeln, in dem gemeinschaftliches Wohnen, Essen, Beraten nicht möglich ist. Die Stadt hat als Schulträger sicherlich geeignete Immobilien in einem Veedel, etwa eine alte Grundschule, die nicht mehr geignet ist, um noch als Schulstandort genutzt zu werden, etwa weil er zu klein ist.

Wenn aber hier heute von der Oberbürgermeisterin versichert wird, dass ehrenamtliche Unterstützer*innen und professionelle, langfristige eingesetzte Begleitung und eine dem Sinn des Projekts angemessene Immobilie natürlich dazu gehören, wäre das schon ein Schritt weiter. Ich möchte deshalb auch diese Frage hier zu Protokoll geben.

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion wird dem heutigen Beschluss zustimmen. Wir werden uns dafür einsetzen, und die anderen Parteien tun dies hoffentlich auch, dass das Selbsthilfe- und Selbstverwaltungsprojekt "Obdachlose mit Zukunft" gut gelingen wird und die Unterstützung aller Verwaltungsdienststellen hat. Deshalb ende ich mit: OMZ muss bleiben!