Housing First: Für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist eigener Wohnraum unerlässlich

Güldane Tokyürek
RatReden

Rede in der Ratssitzung am 6.2.2020

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

heutzutage gibt es in vielen europäischen Städten Housing First-Projekte, in denen regelmäßig um die 80 % der ehemaligen Obdach- und Wohnungslosen ihre Wohnung dauerhaft behielten. Denn die Aussicht, wieder ein normales Leben führen zu können, setzt anscheinend Kräfte frei, die ansonsten ungenutzt blieben. Für eine dauerhafte und selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist eigener Wohnraum unerlässlich.

Deshalb glauben wir, dass eine großflächige Umstellung des Systems – weg vom Stufenmodell, in dem die sogenannte „Wohnfähigkeit“ erst bewiesen werden muss – kommen muss und kommen wird.

Der Erfolg des Konzepts ist gut untersucht. An einer kanadischen Studie von 2014 nahmen 2.200 Menschen ohne Wohnung teil. In Frankreich ist das Modell jüngst in vier französischen Städten untersucht und ausgewertet worden. In Europa gibt es housing First in allen skandinavischen Staaten, in Großbritannien und Irland, in Italien und in allen europäischen Ländern westlich von Deutschland.

Alle Angebote weisen eine höhere Erfolgsquote auf als das meist vorher praktizierte Stufenmodell. Ein wesentlich größerer Prozentsatz der vormals Wohnungslosen behält seine Wohnung und beendet seine Wohnungslosigkeit. In Finnland verringerte sich innerhalb fünf Jahren die Zahl der Wohnungslosen um 25 %. Alle europäischen Länder berichten übereinstimmend, dass sich Gesundheit und psychisches Wohlergehen bei einem großen Teil der Nutzer verbessert, der Drogen- und Alkoholkonsum geht zurück.

Doch zunächst sind viele Akteure skeptisch, wie bei allen Innovationen, die man noch nicht selbst ausprobiert hat. Deshalb tragen wir diesen Modellversuch gerne mit und halten es auch für den richtigen Schritt, alle mitzunehmen.

Wir haben dazu einen kleinen, aber wichtigen Änderungsantrag gestellt, meinen wir. Wenn die Stadt Köln hinter dem Modell Housing First steht, wieso stellt sie dann nicht eigene Wohnungen zur Verfügung? Das wirkt ein bisschen so, als traute man dem Modell dann doch nicht ganz über den Weg. Wenn man etwas Neues, Innovatives verankern will, muss man selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Denken Sie an die Kartoffeln, die der Preußenkönig Friedrich auf seinen eigenen Feldern aussähen ließ, weil die Bauern misstrauisch waren.

Deshalb möchten wir, dass die Stadt Köln auch einige eigene Wohnungen zur Verfügung stellt. Das sollen natürlich nicht die Wohnungen sein, in denen von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen untergebracht werden, und in denen sie als Gebührenzahler, ohne einen Mietvertrag und die damit einhergehenden Rechte wohnen.

Wir meinen die Häuser im sozialen Wohnungsbau, die für Geflüchtete und andere Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein vorgesehen sind. Solche sind  gerade für Porz-Urbach oder Blumenberg beschlossen worden. Wir meinen, die Stadt könnte dort eine Wohnung pro Haus zur Verfügung stellen.

Deshalb bitten wir um Zustimmung für unseren Änderungsantrag. Senden wir jetzt ein Zeichen, dass wir Housing First für erfolgversprechend und machbar halten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Als Top 3.1.1 ist das Thema auf der Tagesordnung des Rates am 6.2.2020 zu lesen.