Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch.

Rede von Jörg Detjen auf einer Gedenkveranstaltung in der Keupstrasse am 29. Mai 2013

Liebe Kölnerinnen und Kölner,

?Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch?. Dieses Zitat ist die Überschrift einer überregionalen Zeitung zu einem Artikel über die Solinger Morde vor 20 Jahren.

Wir alle wissen, dass es einen festen Zusammenhang des Brandanschlags in Solingen mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 gibt. Vor 20 Jahren wurden die Menschenrechte mit Füßen getreten und das eingeleitet, was heute vielen passiert: Nur ganz wenige Flüchtlinge erreichen noch Europa und noch weniger Deutschland. Viele ertrinken im Mittelmeer.

All das ist den Nazis und rechtsextremen Kreisen damals und heute aber noch viel zu wenig. Sie haben mit ihren Anschlag in Solingen ein Fanal gesetzt, dass Menschen anderer Herkunft und anderen Glaubens keinen Platz in der Bundesrepublik haben sollen.

Gegen diese Hetze haben wir immer unsere Losung ?Gleiche Rechte für Alle? gestellt. Damit haben wir uns auch in der internationalen Öffentlichkeit durchgesetzt. Z.B. in wichtigen UN-Resolutionen liest man, dass jeder Mensch in seinem Land einen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Viele Jahre hat es gedauert bis unsere Bundesregierung diese UN-Resolution unterschrieben hat. Aber einhalten tut sie sie noch lange nicht!  

?Erst stirbt das Recht und dann stirbt der Mensch? zieht sich seit Solingen wie ein roter Faden durchs Land. Die Morde der NSU folgten den Morden von Solingen in noch viel heimtückischerer Weise: Eiskalt geplante Morde ohne konkrete Motive und Bekennerschreiben führten zu einer großen Verunsicherung vieler Migrantinnen und Migranten. Ein Höhepunkt der Verunsicherungs-Strategie der Nazis ging in dem Moment auf, als Innenminister Schily die Täter des Anschlages in der Keupstraße nicht mehr in der rechten Szene sah, sondern Opfer zu Tätern machte.  

Vor einem Jahr hatte die IG Keupstraße und ihr Vorsitzender Metat Özdemir hier in der Keupstraße zu einer Veranstaltung eingeladen, um über die Entschädigung der Opfer der Keupstraße zu sprechen. Eine weitere Veranstaltung folgte im Bezirksrathaus und vor einigen Wochen fand eine sehr interessante Film-Veranstaltungsreihe unter dem Stichwort ?Von Mauerfall bis Nagelbombe? statt. Dafür vielen Dank an die Veranstalterinnen und Veranstalter.  

Zusammen mit dem Ratskollegen Walter Schulz setze ich mich dafür ein, dass über die Opferberatung und Entschädigung nicht nur neu nachgedacht werden muss, sondern auch neu gehandelt werden muss. Vielen Menschen ist großes Leid zugefügt worden. Das kann man nicht heilen. Aber wir sollten mit Respekt, Anerkennung und Würde diesen Menschen begegnen.  

Bisher haben 14 Personen eine Opferentschädigung erhalten. Unmittelbar waren 23 Opfer betroffen. Durch die Anschuldigung der Opfer, sie seien Täter, ist ihnen doppeltes Leid zugefügt worden und auch ganze Familien sind diskriminiert worden. Auf einer Veranstaltung mit der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hat der Kölner Psychotherapeut Ali Kemal Gün auf die Traumatisierung nicht nur der Opfer hingewiesen, sondern auch auf die Traumatisierung des gesamten Umfeldes.  

Ich gehe davon aus, dass wir endlich in den nächsten Wochen mit einem konkreten aufsuchenden Opferberatungsprogramm starten werden. Leider kann ich heute noch nicht mehr dazu sagen.  

DIE LINKE unterstützen den Vorschlag, eine Stiftung für die NSU-Opfer zu errichten. Diese Stiftung sollte aber auch dazu einen Betrag leisten, Not und Leid zu mildern, wenn wir sie schon nicht wieder gut machen können.  

Liebe Kölnerinnen und Kölner, liebe Leute in der Keupstraße, lassen Sie uns gemeinsam weiter an der Opferberatung und Opferentschädigung arbeiten. Wir müssen hartnäckig sein. Das zeigt z.B. das Auftreten der Kölner Nebenkläger beim NSU-Prozess. Sie konnten verhindern, dass der Keupstraßen-Teil nicht abgetrennt wird. Wir müssen heute und morgen darum kämpfen, dass tatsächliche Vorgänge, die zum Anschlag in der Keupstraße führten, konkret aufgeklärt werden. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten, dafür müssen wir gemeinsam kämpfen.