Die Fraktion Die Linke.Köln und wechselnde Mehrheiten im Kölner Rat

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Nach knapp einem Jahr Fraktion Die Linke.Köln ziehen Jörg Detjen, Michael Kellner und Özlem Demirel Bilanz.

1. Ende 2005 platzte überraschend die Große Koalition zwischen CDU und SPD. Nach wenigen Monaten war klar: die CDU war in sich so zerstritten, von Selbstherrlichkeit und lokaler Borniertheit so besessen, dass selbst für die Kölner Wirtschaft eine verlässliche Politik z.B. in Bezug auf den Ausbau des Godorfer Hafens nicht umsetzbar schien. Die SPD hatte für sich wichtige Aussagen in der Koalitionsvereinbarung durchsetzen können, die die CDU jetzt zurückholen wollte. Es kam zur Machtprobe über die Wahl des Direktors des Stadtwerke-Konzerns, die die SPD mit den Stimmen der Grünen und der Arbeitnehmervertreter für sich entscheiden konnte.

Die Grünen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden, ob sie mit der SPD oder mit der CDU und eventuell mit der FDP eine Koalition bzw. Kooperation eingehen sollten. Vor allem die chaotischen Zustände in der CDU und die im Landesdurchschnitt extrem rechts aufgestellte Kölner FDP bewogen den Kölner Kreisverband der Grünen schließlich zu Kooperationsverhandlungen mit der SPD.

Die FDP hatte ein Zusammengehen mit Rot-Grün abgelehnt, weil sie ihren schwarz-gelben Landeskurs nicht konterkarieren wollte und eine Ampelkoalition wie in der Landschaftsversammlung Rheinland (LVR) in der Partei heftig umstritten war und ist. Vermutlich wird die FDP aber hohe Forderungen wie z.B. die Wahl eines Beigeordneten zur Bedingung einer Kooperation mit Rot-Grün gemacht haben.  

2. Etwa zur gleichen Zeit bildete sich auf Grund der Zusammenarbeit bei den Bundestagswahlen und des beginnenden Diskussionsprozesses zwischen Die Linke.PDS, Gemeinsam gegen Sozialraub (GGS) und der Wahlalternative soziale Gerechtigkeit (WASG) eine Fraktion Die Linke.Köln im Rat der Stadt Köln. Mit einem Mal waren wir als Fraktion nicht nur in allen Ausschüssen vertreten, sondern hatten ganz andere Möglichkeiten und werden seitdem im Rat und in der Öffentlichkeit bedeutend stärker wahrgenommen, eingeschätzt und berücksichtigt. Auch der Bonus, bereits das zweite Mal im Rat der Stadt Köln vertreten zu sein, steigert das Ansehen der neuen linken Fraktion.

Trotzdem war von Anfang an klar: die neue Fraktion repräsentiert nur 3,6% der Wählerinnen und Wähler und es bedarf der Entwicklung einer klugen und zielgerichteten linken Oppositionsarbeit, um den gesteigerten Stimmanteil bei der Bundestagswahl 2005 in Köln von 5,8% (30.000 Stimmen), politisch zu nutzen und in die Waagschale zu werfen.

Die gemeinsame Erklärung von Die Linke.PDS, GGS und WASG zur Gründung der Fraktion legte acht Schwerpunkte fest und positionierte sich konstruktiv zu den wechselnden Mehrheiten: ?Für eine Koalition mit der SPD und den Grünen im Stadtrat oder die Tolerierung einer solchen Koalition sehen wir daher keine Möglichkeit. Es gibt keine inhaltliche Basis. Sollte es zu wechselnden Mehrheiten im Stadtrat kommen, werden wir punktuell Mehrheiten für soziale und empanzipatorische Beschlüsse suchen.?

In der Diskussion im Mittwochskreis, aber auch auf einem Forum der Fraktion mit bekannten linken Persönlichkeiten, wurde die Frage von wechselnden Mehrheiten intensiv diskutiert. Dass eine solche Politik gemacht werden muss, war unstrittig, strittig blieb vor allem in der Diskussion mit GGS, welche Forderungspakete durchsetzbar sind. So wurde z.B. anlässlich der Wahl des Stadtdirektors ein gigantisches Forderungspaket zusammengeschnürt, das die vereinbarte Politik von wechselnden Mehrheiten faktisch unmöglich machen sollte.  

3. Trotzdem wurden von allen vier Ratsmitglieder wechselnde Mehrheiten gesucht und umgesetzt. Der anliegenden Liste kann entnommen werden, dass in der Zeit von Dezember 2005 bis September 2006 in fast vierzig Fällen Mehrheiten zustande kamen. Es sind pragmatische Entscheidungen bzw. Bündnisse, die vom jeweils anderen nicht verlangen, dass er sich verbiegt bzw. einer Sache  zustimmt, gegen die er eigentlich ist, wie es z.B. bei Koalitionen gang und gäbe ist. Eine Politik der wechselnden Mehrheiten von Seiten der Fraktion Die Linke.Köln aktiv zu gestalten, ist auch deshalb richtig, weil damit eigene Forderungen überhaupt erst durchsetzbar bzw. umsetzbar werden können.

Dazu ein Beispiel von der Sitzung am 15. Dezember 2005: Selbstverständlich hätte die Fraktion Die Linke.Köln auch ohne wechselnde Mehrheiten dem Antrag der SPD zum Wohnungsbauprogramm (1000 zusätzliche Wohnungen in 2006) zustimmen müssen. Umgekehrt hätten SPD und Grüne nicht unbedingt unseren Antrag für den Beitritt Kölns zur Internationalen Städtekoalition gegen Rassismus unterstützen müssen. Das heißt, für eine kleine Partei, die keiner Koalition bzw. Kooperation angehört, können wechselnde Mehrheiten von großem Vorteil sein.

Ein weiteres Beispiel ist die Einrichtung einer ausländerrechtlichen Beratungskommission. Sie wurde von uns angeregt. Um einen Beschluss sicherzustellen, überließen wir die Beantragung den Grünen. Inzwischen hat die Arbeit der Kommission begonnen und zahlreiche Migrantinnen und Migranten vor der Abschiebung bewahrt und ein Bleiberecht erwirkt.  

4. Die Mehrheiten im Kölner Stadtrat sind denkbar knapp: Die SPD hat 28 Mandate, die Grünen 15, das ergibt zusammen 43 Stimmen. Die CDU hat 29 Mandate, die FDP 7, Kölner Bürgerbündnis 2, Pro Köln 5 und Die Linke.Köln 4. Für die einfache Mehrheit braucht macht 46 Stimmen. Bei der Wahl des Stadtdirektors im April 2006 stimmten die Ratsmitglieder Demirel, Detjen und Kellner für den SPD-Kandidaten. Claus Ludwig enthielt sich der Stimme. Das waren genau 46 Stimmen!

Die Folge dieser gemeinsamen Verhandlungen um die Wahl des Stadtdirektors war, dass SPD und Grüne unsern Antrag zu mehr Ausbildungsplätzen bei der Stadt unterstützten. Der Express berichtete darüber unter der Überschrift ?100 Ausbildungsplätze für die PDS?. Nach wochenlangem Ringen musste der Oberbürgermeister per Dringlichkeitsentscheidung die Forderungen der Linksfraktion umsetzen, nicht nur die 100 Ausbildungsplätze, sondern auch die geforderte 6%-ige Ausbildungsquote ab 2007. Das sind ab 2007 insgesamt 264 Auszubildende mehr bei der Stadt. Dieses Programm entspricht einem Volumen von 4,7 Mio. Euro.

Dieser große Erfolg war aber nicht nur das Ergebnis der gemeinsamen Wahl des Stadtrektors, sondern gleichzeitig das einer öffentlichen Kampagne, die die Fraktion sehr eng mit Jugendorganisationen aus dem gewerkschaftlichen und politischen Spektrum organisiert hatte.

Die drei Ratsmitglieder der Fraktion wählten noch zwei weitere sozialdemokratische Beigeordnete mit. Die Entscheidungen waren in der Fraktion und im Mittwochskreis nicht unumstritten. Die drei Ratsmitglieder hätten nicht einfach für jede vorgeschlagene Person gestimmt. Wir konnten uns entweder selbst ein Urteil bilden oder Erkundigungen einziehen. So erkundigten wir uns z.B. vor der Wahl des Wirtschaftsdezernenten Walter-Borjans bei Oskar Lafontaine, da er vor Jahren unter dem saarländischen Ministerpräsidenten gewirkt hatte.  

Die Wahl aller drei Beigeordneten stellt insgesamt keine Verschlechterung des Status Quo dar, sondern eher eine Verbesserung. Sie veränderte die Fixierung der Verwaltung zu Ungunsten der CDU. Außerdem trugen die wechselnden Mehrheiten bei der Wahl der Beigeordneten dazu bei, dass folgende Forderungen im Rat durchgesetzt werden konnten:

- Einrichtung einer ausländerrechtlichen Beratungskommission (von uns angeregt)     

- Lernmittelfreiheit für ALG II-Empfänger und Asylbewerber

- Köln-Pass: Anwendung auch für Arme bei einem Einkommen 10% über dem Regelsatz

- Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz

- Konzept gegen Rechtsextremismus (in Arbeit)

Diese Beschlüsse verbessern die sozialen und emanzipatorischen Bedingungen für die Kölnerinnen und Kölner. Sie wurden auch in enger Zusammenarbeit und mit Unterstützung von politischen Initiativen und Gruppen durchgesetzt.  

5. In unserer Arbeit hatten wir auch Konflikte mit möglichen Bündnispartnern auszutragen. Als die UNESCO die Pläne für das Barmer Viertel über den Haufen warf, schlug die Fraktion vor, den Barmer Block als Zwischenlösung für studentisches Wohnen zu nutzen. Einige Wochen später besetzten Hausbesetzer den Block und forderten den Erhalt. Die Besetzer überschätzten unsere Verhandlungsposition gewaltig und verlangten von uns, eingeleitet durch eine mehrtägige Bürobesetzung, die bedingungslose Umsetzung ihrer Forderung. Dieser Erpressung gab die Mehrheitsfraktion allerdings nicht nach.

Konfliktpotential boten auch die Landeskürzungen bei Elternbeiträgen für Kindertagesstätten und Horte. Bei der nun fälligen Gebührenneuordnung wollten SPD und Grüne 40 % aller Eltern vom Beitrag befreien und das über eine stärkere Progression bei Eltern mit höherem Einkommen erreichen. Die Mehrheit der Fraktion Die Linke.Köln schloss sich diesem Modell an, denn die CDU wollte Beitragsfreiheit für alle durch eine unsoziale Erhöhung der Grundsteuer finanzieren. Letzten Endes verließen sich SPD und Grüne dann doch auf die FDP, die dafür sorgte, dass das alte Modell für ein Jahr in Kraft blieb, einschließlich einer sozial unausgewogenen Gebührenerhöhung.  

6. Vom gemeinsamen Acht-Punkte-Programm der Fraktion Die Linke.Köln haben wir zu sechs Forderungen Erfolge bzw. Teilerfolge erzielen können. Für unsere kleine Fraktion ist das viel und natürlich auch der etwas glücklichen Konstellation im Rat der Stadt Köln zu verdanken. Wir haben diese Chance aber genutzt, auf diese Weise etwas bewegt und verändert und so aufgezeigt, dass eine andere, eine soziale Politik in Köln möglich ist.

Inzwischen hat sich auch herausgestellt: Wechselnde Mehrheiten im Rat der Stadt Köln sind eine Ohrfeige für das konservative, reaktionäre und offen neoliberale Lager in der Stadt. ?Schramma-Klatsche? überschrieb der Express einmal einen Artikel. Und an dieser Stelle zeigt sich, dass an dem Begriff ?Kölsche Volksfront?, wie ihn einige scherzhaft, andere boshaft geprägt haben, durchaus etwas dran ist. Die ?Kölsche Volksfront? - das ist der widerständige Platzjabbeck in der Gestalt der Kölnerinnen und Kölner, die den Schrammas, Klippers, Müllers und Stercks die Zunge rausstrecken. Und diese  Mehrheit findet sich - wenn auch knapp - zur Zeit im Rat wieder. Das kann sich schnell wieder ändern, der Platzjabbeck hat - historisch gesehen - kein Abonnement auf CDU und FDP. Er streckt die Zunge raus, wem er will!

Die CDU versteht bis heute ihren Machtverlust nicht. Obwohl sie den Oberbürgermeister stellt, kann sie nicht mehr schalten und walten, wie sie will. Das freut viele Leute in der Stadt. Wir bekommen gerade aus Kreisen der kritischen Intelligenz, von Gewerkschaften, Initiativen, aber auch linken Kreisen viel Zuspruch, diese Politik fortzusetzen. Ob es uns langfristig gelingt, das konservative Lager in Köln zu schwächen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar. Die Wiedereinführung des Köln-Passes sollten wir aber auch als Symbol im Kampf gegen das reaktionäre und offen neoliberale Lager verstehen: Soziale Politik ist möglich, wenn sich Linkspartei und WASG mit anderen linken Initiativen in Köln zusammenschließen und aktiv werden (s. Unterschriftensammlung und Antrag im Beschwerdeausschuss) und gleichzeitig die Fraktion Die Linke.Köln auf Ratsebene klug operiert.  

7. Wir müssen in den nächsten Monaten das Zusammenwirken mit sozialen Initiativen zielgerichteter gestalten und die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort verbessern. Unsere inhaltliche Arbeit muss fundierter werden, wir müssen uns breitflächiger aufstellen, damit wir den vielen Anforderungen überhaupt nachkommen können. Dazu sollten wir jetzt unser Forderungspaket überarbeiten und entwickeln.

Wir haben im Einzelnen einiges bewirkt. Jetzt muss es uns darum gehen, ein eher langfristiges und programmatisches Kommunalkonzept zu entwickeln. Wir dürfen bei einzelnen Forderungen nicht stehen bleiben, sondern müssen beschreiben, wie das soziale Köln aussehen soll, das wir anstreben. Das wollen wir mit allen Linken, insbesondere aber mit der  Linkspartei.PDS, der WASG und auch mit GGS in den nächsten Monaten umsetzen. Ob die bevorstehenden Haushaltsberatungen dazu schon genutzt werden sollen, wird die gemeinsame Diskussion in den nächsten zwei Monaten ergeben.