Die Kultur der Erinnerung ist prägend und aus ihr entsteht Verantwortung.

Güldane Tokyürek

Ratsrede am 05.07.2018 zu Top 3.1.7 "Resolution Kein Raum für Antisemitismus in Köln! Für eine solidarische Stadtgesellschaft!"

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
meine Damen und Herren,

Antisemitismus betrifft uns alle hier in Deutschland. Keiner kann sich dem entziehen. In Berührung gekommen bin ich mit dem Holocaust und dem Antisemitismus in der Schule, und er hat sich tief verankert in das Denken und Fühlen. Sie ist Teil unserer Identität. Sie ist auch Teil meiner Identität. Die Kultur der Erinnerung ist prägend und aus ihr entsteht Verantwortung. Dieser Teil der deutschen Geschichte ist vielleicht nicht die meine und auch nicht die meiner Eltern und Großeltern. Aber ich bin Teil dieser Gesellschaft wie viele andere Zugewanderte auch. Man muss nicht historische und biographische Bezugspunkte haben um mitzuleiden und nachzuempfinden. Hierfür ist die Fähigkeit zur Empathie relevanter als eine Unmittelbarkeit des Betroffenseins. Unsere Verfassung und unsere Grundhaltung zu den Menschenrechten sind direkte Ausflüsse dieser Verantwortung. Dazu gehört, dass jeder von uns Einfluss darauf hat, wie sich unser Zusammenleben gestaltet. Dazu gehört die Frage, wie wir uns als demokratische Gesellschaften organisieren müssen, damit so etwas nie wieder passiert? Diese Frage geht uns alle etwas an.

Wir als DIE LINKE freuen uns, dass heute diese Resolution von einer großen Mehrheit des Stadtrates beschlossen wird. Wichtig ist diese vorliegende  Resolution, wenn man sich die antisemitischen Angriffe anschaut, die konstant hoch sind und denen wir uns entgegenstellen müssen. Wichtig ist sie, um zu zeigen, dass wir genau hinschauen und den Finger immer wieder in die Wunde legen und nicht ablassen werden.

Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft hat untersucht, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus in Europas Gesellschaften und der gestiegenen Zahl der Migranten gibt. Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Belgien untersuchten dafür unterschiedliche Daten aus den fünf Ländern und kamen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass kein Anstieg antisemitischer Übergriffe festzustellen sei. "Antisemitismus ist ein Problem, das der Mehrheitsbevölkerung entspringt und nicht ausschließlich oder sogar überwiegend von Minderheiten herrührt", heißt es in der Studie.

Im Mittelpunkt sollten, das ist meine Grundüberzeugung, das Miteinander und die Gemeinsamkeiten stehen. Deshalb wären wir alle gut beraten, gerade nicht neue Feindbilder und Frontlinien heraufbeschwören. Als Einwanderungsgesellschaft stehen wir selbstverständlich vor anderen Herausforderungen, insbesondere was die Erinnerungskultur angeht. Der Expertenkreis Antisemitismus hat mit Nachdruck gefordert, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus umfangreicher und dauerhafter zu fördern. Das sollten wir auch als unsere Aufgabe in Köln verstehen. In Köln haben wir mit dem NS-Dokumentationszentrum einen Akteur, der sich in der Arbeit gegen den Antisemitismus und Rassismus verdient gemacht hat. Deshalb müssen die entsprechenden Ressourcen weiter bereitgestellt und aufgestockt werden. Das muss ein Ergebnis dieser Resolution sein, damit es nicht lediglich bei Lippenbekenntnissen bleibt.

Meine Damen und Herren, es ist gut und wichtig, dass es nunmehr einen Antisemitismusbeauftragten gibt. Der nächste Schritt müsste der sein, auch einen Rassismusbeauftragten einzusetzen. Denn Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung sind voneinander nicht trennbar. Als Einwanderungsgesellschaft stehen wir da in einer besonderen Pflicht und Verantwortung.

Zum Schluss möchte ich gerne den israelischen Schriftsteller David Grossmann zitieren, der das Gefühl von Zugehörigkeit, Sicherheit und Zerrissenheit sehr schön beschreibt: „Aber wenn ich von „Zuhause“ spreche, dann deshalb, weil ich immer noch tief daran glaube, dass die Definition eines Juden als Individuum die desjenigen ist, der sich in der Welt nie zu Hause gefühlt hat – aufgrund von Angriffen, Exil, Deportation, Genozid. Und dass das größte Bedürfnis des jüdischen Volks ist, einen Ort zu haben, an dem es sich sicher fühlt. Aber erst, wenn die Palästinenser ein Zuhause haben, haben wir auch eins. Israel wird mehr und mehr zu einer Festung – wir sind militärisch so stark, so bewaffnet – und immer weniger ein Zuhause“.

Ein Bekenntnis zu Israel kann nur dann glaubwürdig sein, wenn wir öffentlich und kritisch über die israelische Regierungspolitik reden können. Als Einwanderungsgesellschaft müssen wir auch sehen, dass es zum Thema Israel verschiedene Narrative in unserer Mitte gibt. Dass das keinesfalls mit Toleranz gegenüber Antisemitismus gleichzusetzen, ist selbstredend. In diesem Sinne müssen wir als Gesellschaft versuchen alle zu einem kritischen Dialog einzuladen.