Rede von Jörg Detjen auf der Gedenkveranstaltung Sivas 93

Rede von Jörg Detjen auf der Gedenkveranstaltung Sivas 93:

Werte Kölnerinnen und Kölner,

Liebe alevitische Freundinnen und Freunde,

vielen Dank für die Einladung zu Gedenkveranstaltung, die heute in vielen Ländern stattfindet.

Es war ein „Massaker“ am 2. Juli 1993 an den Aleviten. 35 Menschen starben, darunter viele Künstlerinnen und Künstler.
Auch wenn Ministerpräsident Erdogan daran nicht erinnert werden will, tun wir es trotzdem!

Tote, und vor allem dann, wenn sie heimtückisch ermordet worden sind, muss man gedenken: Das gebietet die Humanität, die Toleranz und der Respekt vor diesen Menschen und ihrem Kampf für die Freiheit und Demokratie. Sie haben sich für die Emanzipation vom Dogmatismus, Gewalt und reaktionärer Herrschaft eingesetzt. Sie, die Opfer und wir, die Lebenden in der Türkei, aber auch hier in Europa wollen eine moderne, plurale, friedliche Gesellschaft!

Dieses einigende Band, manchmal dick wie ein Tau und manchmal dünn wie ein Faden kann man nicht zerreißen, auch wenn reaktionäre Kreise und Faschisten das immer wieder versuchen. Wie bei einem Spinnengewebe. Wenn man es zerstört ist es am nächsten Tag wieder da! Und deshalb gedenken wir heute nach 27 Jahren in ganz Europa des Massakers im Madimak-Hotel in Sivas.

Mit Hass löst man keine Probleme, das sollten eigentlich alle Staatspräsidenten wissen. Deshalb unterstütze ich als Oberbürgermeisterkandidat der LINKEN die Forderung der alevitischen Organisationen, aus dem Gebäude des ehemaligen Hotels ein Museum des Gedenkens (Gedenkstätte) zu machen. Herr Erdogan, stellen sie sich ihrer Verantwortung für die alevitische Gemeinde!

Und ich fordere die Bundesregierung auf, sich auf die Seite der Aleviten zu stellen. Es war doch ein Unding, als der bekannte Pianist Fazil Say 2008 sein Requiem für Metin Altiok – ein Opfer von Sivas – auf Drängen des türkischen Staates zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse nicht aufführen konnte. So etwas darf nie wieder passieren!

Als ich in den letzten Jahren mehrfach Istanbul besuchte, Kölns Städtepartnerschaft, ist mir aufgefallen, dass es sehr viele engagierte Frauen gibt, die sich für mehr Demokratie einsetzen. Das hat mich sehr ermutigt! Es ist auch ein Hinweis, wie wichtig das Wirken der Aleviten ist, die seit Jahrhunderten auf die Gleichstellung von Mann und Frau pochen. Die Türkei wird sich irgendwann demokratisieren und da werden die Frauen eine wichtige, emanzipatorische, friedliche und aktive Rolle spielen! Wer meint mit der Unterdrückung der Frauen so weitermachen zu können, ist von Gestern! Selahattin Demirtaş hat das in seinem Bändchen „Morgengrauen“ in der Vogel-Geschichte, „Der Mann in uns“ sehr schön beschrieben:

Staatsvögel fordern von einem Vogelehepaar für deren Nest ohne Genehmigung eine Strafe in Form eines ausgebrüteten Jungens. Das Spatzenweibchen: „Sie kriegen weder mein Nest noch mein Junges. Nur über meine Leiche. Das Spatzenmännchen schickte hinterher: Genau! Nur über die Leiche meiner Frau.“ Selahattin schreibt dazu: „Der Eifer, mit dem das Weibchen um sein Nest und seine Jungen gekämpft hatte, ließ mich doch staunen.“

Günter Wallraff, mit dem ich in Istanbul war, ist ein wahrer Fan von diesem Buch. Ich inzwischen auch! Heute berichten die deutschen Medien darüber, dass heute der Staatsrat, das höchste Gericht eine Vorentscheidung trifft, ob die Hagia Sophia in Istanbul, ein Weltkulturerbe, von einem Museum wieder zu einer Moschee umgewandelt werden soll. Damit würde Erdogan endgültig die säkulare Türkei einreißen! Ein Skandal! Dagegen sollten alle Humanisten aufbegehren!

Lassen sie uns gemeinsam Hass und Gewalt keine Chance geben. Aleviten und die Demokraten in Europa stehen zusammen. Wir müssen aber auch die aktuelle Lage im Blick haben:

Den Krieg in Syrien müssen wir kritisieren, er muss beendet werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, machen Sie Schluss mit der Kumpanei mit der Türkei. Die Türkei muss sich aus Syrien und den kurdischen Gebieten zurückziehen. Die Türkei muss sich an die Vereinbarungen des Europarates halten und die demokratische Freizügigkeit garantieren!

Heute treffen sich in Berlin der deutsche und der türkische Außenminister. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich für die politischen Gefangen in der Türkei einzusetzen. Wir fordern deren Freilassung. Darunter auch Kölnerinnen und Kölner.

Torgut Öker, unser Ehrenvorsitzender der Alivitischen Gemeinde hier in Köln soll sofort das Recht der Ausreise nach Deutschland bekommen. Das gleiche gilt für Hozan Cane,Gönül Örs und Bekir Topgider