Jamaika-Bündnis reagiert nicht auf drängende Herausforderungen

Jörg Detjen
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Rede zur Verabschiedung des Haushaltes 2019

Sehr geehrter Frau Oberbürgermeisterin,
meine Damen und Herren,

gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung:
Ich bedanke mich bei Frau Kämmerin Klug und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Finanzverwaltung. Sie haben nun zum zweiten Mal einen fristgerechten Haushalt vorgelegt. Wenn wir uns daran erinnern, wann in früheren Jahren Haushalte eingebracht und verabschiedet wurden, dann hat die Finanzverwaltung demgegenüber ein Dreivierteljahr aufgeholt. Das ist eine bemerkenswerte Leistung!

Meine Damen und Herren,

ich kann mich nicht daran erinnern, dass in den letzten zwanzig Jahren derart drängende Aufgaben und damit auch finanzielle Herausforderungen in Köln vor uns standen wie in nächsten Jahren. Wir haben eine Tragfähigkeitslücke von jährlich 460 Mio. Euro: Schuldenlasten, aber auch Investitionen, die seit Jahren ausstehen, und Investitionen für die weitere Entwicklung Kölns.
Wie antwortet das Jamaika-Bündnis darauf?
Gar nicht! Sie nehmen die Probleme nicht einmal wahr.

Verwaltung und Politik befinden sich in einer schweren Krise. Die große gesellschaftliche Zerstrittenheit spiegelt sich auch in der Kölner Kommunalpolitik wieder, gespickt mit zahlreichen eigenen Problemen, Skandalen und Friktionen.

Die Anforderungen erinnern an die vorletzte Jahrhundertwende, als die Stadt Köln in drei Jahrzehnten von 200.000 auf 600.000 Einwohner wuchs.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert wuchs die Industrie, Arbeitskräfte zogen nach Köln es herrschte Wohnungsnot. Es bildeten sich damals, insbesondere in Köln, aus der katholischen Arbeiterbewegung Wohnungs- und Konsumgenossenschaften.

Die Kölner Kapitalisten und die Kölner Stadtverwaltung konnten das Problem nicht mehr aussitzen. Sehr spät fingen Verwaltung und Kapitalisten an, die Not zu lindern und auch Wohnungen zu bauen. Die Kapitalisten hatten auch begriffen, dass eine Steigerung der Ausbeutung der Arbeitskräfte nur möglich ist, wenn Bildung und die sozialen Bedingungen verbessert werden.

Eine derartige Strategie der kapitalistischen Entwicklung in Köln kann ich heute nicht erkennen. Heute sehe ich nur die einfältige, gelangweilte Bereicherung der gehobenen Mittelschicht und reicher Rentiers. Verwaltung und Wohnungskapitalisten sind noch nicht mal in der Lage, ihre 6.000 Wohnungen jährlich zu bauen, die sie mal vereinbarten haben.

All das wird auf Rücken der 200.000 Menschen in Köln mit geringen Einkommen abgeladen. 23 % Armutsgefährdete haben wir in der Stadt, 6 % Reiche und dazwischen die untere und obere Mittelschicht. (1)

Das durchschnittliche Haushaltseinkommen einer Alleinerziehenden in Köln beträgt 1.900 Euro. Selbst wenn sie nur ein Kind hat, braucht sie mindestens eine 65 qm Wohnung. Dafür wird laut aktuellem Mietspiegel in Köln 650 Euro fällig, dazu kommen Heizkosten von 60 Euro und Nebenkosten von 140 Euro.
Sie muss dann nicht 30% wie früher üblich, sondern 45% des Einkommens für Wohnen ausgeben. Das ist die Realität und das ist der Skandal!

Wir fordern als LINKE preiswerten und bezahlbaren Wohnraum!

Die FAZ berichtete am 21. Oktober – ich zitiere:

Für das untere Fünftel der Einkommensbezieher ist die Wohnkostenlast in den Jahren 1993 bis 2013 von 27% auf 39 % gestiegen, während sie für das obere Fünftel der Verdiener gefallen ist: Sie mussten statt 16 Prozent nur noch 14% ihren Nettoeinkommens zur Deckung des Wohnbedarfs ausgeben.“

Die Ungleichheit nimmt rasant zu. FAZ:
Demnach hat die Spreizung der Nettoeinkommen zwischen einem mittleren Verdiener und den unteren zehn Prozent im untersuchten Zeitraum um 22 Prozentpunkte zugenommen, berücksichtigt man die Wohnkosten, betrug sie fast das Dreifache.“

Und diese Spreizung ist seit 2013 noch mal enorm gestiegen.
Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt deformiert unser Köln.
Die Lebensverhältnisse driften extrem auseinander.

Wenn wir uns unter diesen Gesichtspunkten insbesondere die Veränderungen des Jamaika-Bündnisses am Haushaltsentwurf ansehen, müssen wir feststellen:
Hier wird vor allem das jeweilige Wählerklientel bedient, aber keine Strategie entwickelt, wie man eine lebenswerte Stadt für Alle entwickelt.

Köln braucht einen roten Faden, eine Strategie für eine soziale und ökologische Stadtentwicklung. Der Bau von neuen, preiswerten Wohnungen ist der Schlüssel für eine solche Strategie. Der Bau von Wohnraum ist gleichzeitig ein Art Vorschub für andere gesellschaftliche Bereiche für Köln:

  1. Eine höhere Wertschöpfung für Industrie, Handel und Handwerk und damit verbunden: Höhere Gewerbesteuer und höhere Einkommensteuer.
    Das Deutsche Institut für Urbanistik, das Stadtforschungsinstitut der
    Kommunen, hatte 2015 das Stadtentwicklungsprojekt „Bahnstadt Heidelberg“ untersucht und kam zu folgendem Fazit:
  • Zusätzliche Wertschöpfung, positive fiskalische Effekte
  • Jährliche Erträge höher als die Aufwendungen
  • Positive Auswirkungen auf den Wohn- und Arbeitsmarkt
  • Dauerhafte Steuereinnahmen und positive Auswirkungen für die Region
    Das DiFu spricht von einem „Impuls“ allein durch dieses Projekt von insgesamt 2 Mrd. Euro, davon verbleibt bei der Stadt eine Wertschöpfung von 300 Mio. Euro. (3)
    Die Firma aurelis hat in Düsseldorf das Projekt „Le Quartier Central“ untersuchen lassen stellt Volkswirtschaftliche Effekte fest, u.a.:
    Mehr Steuereinnahmen der Stadt                     6 Mio. Euro/jährlich
    Es gibt weitere Bereiche, die durch den Wohnungsbau in Köln angeschoben werden können – wenn wir es richtig angehen:
  1. Der Schaffung von Arbeitsplätzen mit guter Bezahlung und die
    Reduzierung von Arbeitslosigkeit in der Stadt.
  2. Neue Klimaschutzmodelle bei Häusern, z.B. Begrünung und Solaranlagen.
  3. Wenn mehr Leute in Köln wohnen, können wir eine Verbesserung und Ausweitung der Mobilität mit hohen Anforderungen an den Klimaschutz erreichen.
  4. Wir können das Herausfallen von immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung verhindern. Jetzt liegen wir bei 6,8 %. Wir müssen schnell wieder über 10 % kommen und wir müssen langfristig den Anteil vom kommunalen und öffentlichen Wohnungsbestand deutlich erhöhen.
    Wir meinen, dazu braucht man auch eine zweite GAG.
    Mehr Sozialwohnungen bedeuten auch geringere Ausgaben für soziale Leistungen. Der Nutzen für die Leute und der Vorteil für den städtischen Haushalt ergänzen sich hier.
  5. Wir können die Selbstorganisation und die Beteiligung der Kölnerinnen und Kölner verbessern, in dem wir kleine Genossenschaften und Baugruppen fördern und unterstützen.
  6. Der Bau von Wohnungen für Geflüchtete führt zu einer besseren Unterbringung und senkt die Kosten für Hotelunterbringen
  7. Im Zusammenhang mit Wohnungsneubau können wir schneller neue Kitas bereitstellen.
  8. Köln wird wachsen, zusammen mit seinem Umland. Köln braucht insgesamt 65.000 zusätzliche Wohnungen. Auf dem Kölner Gebiet ist das nicht zu schaffen. 18.000 Wohnungen werden wir in der Region entwickeln müssen. Das kann ein wichtiger Beitrag für die Strukturentwicklung in der Region sein.
     
    Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen haben wir das Thema „bezahlbares Wohnen“ in das Zentrum unseres Veränderungsnachweises gestellt. Bezahlbare Wohnungen sind aus unserer Sicht der Angelpunkt für die Entwicklung dieser Stadt!
    Der Rat der Stadt Köln muss gestalten, er braucht einen roten Faden, er braucht eine Strategie! Und daran mangelt es dem Jamaika-Bündnis!

    Gleichwertige Lebensverhältnisse gibt es in Köln immer weniger, die Lebensverhältnisse driften stark auseinander.
    Der Anteil von Beziehern der Grundsicherung ist von 2005 bis 2016 von
    4,8 % auf 7,6 % gestiegen. Die Personenzahl hat sich auf 14.342 fast verdoppelt. Sozialwissenschaftler meinen, das sei nur ein Drittel der tatsächlich Anspruchsberechtigen.
    Besonders erschreckt hat mich der Rentenreport des DGB NRW.
    Die durchschnittliche Rente für Männer in Köln beträgt 999,47 Euro und liegt unter vielen Städten des Ruhrgebietes, wie Duisburg und Essen mit 1.100 Euro.
    Auch hier kann man die Bedeutung des preiswerten Wohnraums erkennen.
    Aber diese schlechten Renten hängen mit den geringen Verdiensten zusammen. Man muss heute mindestens 12,63 Euro verdienen, um nach 40 Jahren eine Rente über der Grundsicherung zu erhalten.
     
    All das beweist, dass die Stadt die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als eine Kernaufgabe sehen muss und dazu gehört
    Bildung für alle:
  • Mehr Stellen an den Kitas
  • Mehr Qualität für die OGTS und mehr Sozialarbeiterinnen und -arbeiter.
  • Vielfalt entwickeln und Integration stärken
  • Kostenloser Besuch von Museen.
    Die LINKE tritt für gleichwertige Lebensverhältnisse ein.
    Auch deshalb müssen die städtischen Kliniken in städtischer Hand bleiben. Und wir werden als Stadt bestimmt noch mal Geld in die Hand nehmen müssen, um langfristige Investitionen für eine gute gesundheitliche Versorgung auf der linken und rechten Rheinseite zu ermöglichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben es verdient, dass wir zu ihnen stehen.
    Sie haben über Jahrzehnte gute Arbeit gemacht, wir stehen zu Ihnen. Lassen sie uns gemeinsam ein soziales und solidarisches Gesundheitswesen in Köln verteidigen!
     
    Gleichwertige Lebensverhältnisse werden wir in Köln nur erreichen, wenn das ein überparteiliches Thema wird und wenn der Rat, die Verwaltung und die Zivilgesellschaft immer wieder finanzielle Mittel vom Land und vom Bund einfordern. So wie wir es z.B. beim Wohngeld gemacht haben.
    Wir müssen gegenüber dem Land und dem Bund darauf pochen:
    Wer beschließt, der muss auch zahlen. Der Verfassungsgrundsatz der
    Konnexität muss eingehalten werden!
     
    Und wenn die Landesregierung meint, die Olympischen Spiele 2032 oder 2036 nach NRW holen zu wollen, denn können sie das ja beschließen und auch vollständig planen und bezahlen.
    Deshalb sollte sich Köln an der Durchführung dieser „Brot und Spiele“-Veranstaltung nicht beteiligen. Wir wollen Kreuzfeld möglichst schnell bebauen, Frau Oberbürgermeisterin und nicht erst als Olympisches Dorf zu den Olympischen Spielen!
     
    Die CDU und die FDP wollen in Köln mit Großprojekten strategische Politik machen. Und wenn wir die Olympischen Spiele nach NRW holen, dann wird die Stadtverwaltung, die jetzt schon gnadenlos überfordert ist, zu unseren
    laufenden Arbeiten gar nicht mehr kommen, und wenn dann noch die
    Ost-West-U-Bahn geplant und gebaut werden muss, wird das Kölner „mittlere Chaos“ zum gigantischen Chaos.
     
    Und deshalb mein Appell an die SPD, sie müssen nicht links blinken, das verlangen wir nicht, sie müssen nur auf die Neoliberalen und Konservativen nicht reinfallen. Lassen sie uns die oberirdische Lösung umsetzen und in einigen Jahren über die langfristige Tunnellösung unter dem Rhein entscheiden.

Meine Damen und Herren,
das heutige Urteil des Verwaltungsgerichtes Köln mit Fahrverbotes für Dieselautos macht deutlich:
Wir brauchen keine Tunnel, sondern Busspuren und eine oberirdische ÖPNV-Lösung, die absehbar verwirklichbar ist!
 
Köln braucht jetzt eine Strategie, in der der Wohnungsbau der Schlüssel für die Lösung ist und nicht der Bau von Tunneln! Wir brauchen einheitliche Lebensverhältnisse und keinen Beton! Das macht schon die neoliberale Landes­regierung, die uns die Mittel für die Starken Veedel zerschlagen hat.
 
DIE LINKE ist die einzige Partei im Rat, die einen eigenen Veränderungsnachweis vorlegt hat, verbunden mit einer Strategie, wie Köln entwickelt werden kann und Lebensverhältnisse geschaffen werden, die alle Kölnerinnen und Kölner respektieren und anerkennen.