Auch 2017 gilt: Köln bleibt bunt, nicht braun!

Rede des Kölner Bundestagsabgeordneten Matthias W. Birkwald auf der Gegendemo am 7. Januar 2017, Bahnhofsvorplatz.

Rede des Kölner Bundestagsabgeordneten Matthias W. Birkwald auf der Gegendemo am 7. Januar 2017, Bahnhofsvorplatz.

Liebe Kölnerinnen und Kölner, liebe Freund*innen und Freunde,

die Geschichte lehrt uns:

Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen.

Und jede Form des Rassismus ist unvereinbar mit Artikel 1 des Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar‘.

Da steht ausdrücklich nicht ‚Die Würde des Deutschen‘, oder `Die Würde des Bürgers´, nein, es heißt so schlicht wie richtig: “Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Deshalb ist es wichtig, dass wir hier und heute dem Aufruf von „Köln gegen Rechts“ gefolgt sind, um über Parteigrenzen hinweg Nazis und Rassist*innen zu stoppen.

Die Rasisst*innen um Esther Seitz und „pro NRW“ haben ihre Kundgebung unter dem Motto ‚Kein Vergeben - kein Vergessen - ein Jahr nach dem Sex-Pogrom/Köln’ angekündigt. Damit machen die selbsternannten ‚Rebellen für Deutschland‘ deutlich:

Die widerlichen massenhaften sexuellen Übergriffe des Silvesterabends 2015 wollen sie weiterhin zweifach instrumentalisieren:

Zum einen für ein menschenfeindliches Weltbild, in der angeblich ein ‚völkisches, deutsches Wir‘ die sexuelle Integrität von Frauen gegen ein Kollektiv der ‚Fremden‘ verteidigen müsse.

Und dazu, liebe Freundinnen und Freunde, sage ich hier noch einmal, was mir Anfang des vergangenen Jahres einen rassistischen Shitstorm bei Facebook eingebracht hatte:

„Leute, die sich für den Schutz von Frauen nur interessieren, wenn sie von Ausländern angegriffen werden, sind Rassisten.“

Das gilt heute uneingeschränkt weiter. Es trifft auch auf Frau Seitz und die von ihr angekündigten internationalen Redner*innen, NPD-Kader*innen und andere Neonazis uneingeschränkt zu.

Mit ihrem Aufruf für die heutige Kundgebung gehen sie aber noch einen Schritt weiter:

Sie wollen die widerlichen sexuellen Übergriffe des Silvesterabends 2015 ebenso instrumentalisieren, um die historischen Verbrechen des deutschen Faschismus zu klein zu reden. Ihre Formulierung vom ‚Sex-Pogrom‘ spielt bewusst auf die Reichspogromnacht von 1938 an: Das Fanal zur millionenfachen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden wird so durch die Gleichsetzung mit der sexuellen Gewalt einer Gruppe krimineller Männer verharmlost.

Seit der Silvesternacht 2015 haben die Kölner Zivilgesellschaft, die Demokrat*innen und Antifaschist*innen mehrfach so wie heute zusammengestanden, um der Ausbreitung solch rassistischer und neofaschistischer Deutungen gemeinsam entgegenzutreten. Wir haben auch gemeinsam mit Frauenorganisationen und mit feministischen Organisationen‘ Stellung gegen jegliche sexuelle Gewalt bezogen.

Beides war gut und richtig. Und Beides werden wir auch 2017 weiterhin tun.

Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam dafür gesorgt, dass die Versuche der Rechten gescheitert sind, einen Pegida-Ableger in unserer Stadt zu etablieren.

Und heute, liebe Freundinnen und Freunde, werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass auch 2017 gilt:

Auf den Straßen und Plätzen in Köln darf es keinen Raum für rassistische Hetze geben!

Das vergangene Jahr hat aber auch gezeigt: Allein mit der richtigen antirassistischen Moral werden wir dem Erstarken des Rassismus nicht erfolgreich entgegentreten können.  Und Probleme zu verleugnen, das ist ebenfalls keine Lösung.

Im Gegenteil:

Um Demokratie, Toleranz und Menschenwürde erfolgreich zu verteidigen, brauchen wir auch realistische und konkrete Antworten auf soziale Fragen. In eine Falle, liebe Freundinnen und Freunde, dürfen wir aber nicht gehen, nämlich der rassistischen Ideologie nur mit einem bloßen Spiegelbild ihres völkischen Identitätsangebotes entgegenzutreten.

Das möchte ich an einem Beispiel kurz erklären:

Anfang der 90er Jahre habe ich, damals noch als Jugendbildungsreferent der JungdemokratInnen NRW, als Gast auf einer Landesdelegiertenkonferenz der Grünen NRW Folgendes erlebt: Es wurde ein Fragebogen verteilt, auf dem Deutschen und Ausländern (so der Terminus damals) gute und schlechte Charaktereigenschaften zugewiesen werden sollten. Auf vielen Fragebögen wurden den Deutschen dann nur die schlechten Eigenschaften zugeschrieben und den Ausländern hingegen nur die Guten.

Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist Philorassismus, also die bloße Umkehrung rassistischer Vorurteile, und das ist grottenfalsch.

Denn: Die Quote der Guten und die Quote der Schlechten ist gleich. Mit etwas drastischen Worten ausgedrückt: Die Quote der Arschlöcher ist überall gleich verteilt!

Liebe Freundinnen und Freunde,

am Silvesterabend 2016 haben wir in Köln ein massives Auftreten der Polizei erlebt.

Amnesty international hat dazu festgestellt:

„Die öffentliche Sicherheit zu wahren, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Polizei. Dieser Aufgabe ist die Polizei Köln in der Silvesternacht 2016 durch verstärkte Präsenz nachgekommen, um eine Wiederholung der menschenverachtenden Übergriffe von Silvester 2015 zu verhindern. Gleichzeitig ist es auch Aufgabe der Polizei, Menschen vor Diskriminierung zu schützen - und diese Aufgabe hat die Polizei Köln ignoriert.“

Ich finde:

Mit beiden Aussagen hat Amnesty international völlig Recht.

Amnesty international fordert deshalb:

„Der Fall Köln zeigt, dass es notwendig ist, die Polizei daran zu erinnern, dass es auch zu ihren Aufgaben gehört, die Rechte von Minderheiten zu schützen und nicht, sie zu diskriminieren.“

Darum sage ich:

Ob die Polizei mit ihrem Sortieren von Verdächtigen nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht gefährlich nahe an die Grenze zum ‚institutionellen Rassismus‘ gekommen ist, müssen wir öffentlich diskutieren.

Aber ich sage ebenfalls:

Wir dürfen diese Frage nicht so aufwerfen, dass dabei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, uns Antifaschist*innen seien die berechtigten Sicherheitsinteressen der Menschen egal.

Liebe Freundinnen und Freunde,

als die Grünen-Vorsitzende Simone Peter und die Landesvorsitzende der LINKEN NRW, Özlem Demirel, nach den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informationen das Handeln der Polizei als ‚racial profiling‘ kritisierten, brach in den sozialen Medien ein Shitstorm sondergleichen über die beiden herein.

Menschen ausschließlich aufgrund ihrer nordafrikanischen Herkunft als „Nafris“, also als „Nordafrikanische Intensivtäter“ zu bezeichnen, ist völlig inakzeptabel. Und darum sind wir mit Özlem Demirel und Simone Peter solidarisch gegen diese zum Teil sehr brutalen Anfeindungen.

Es muss gelten:

Jeder Mensch, völlig egal, woher er kommt, ist allerhöchstens ein Verdächtiger und noch lange kein Täter oder gar Intensivtäter. Darum fordere ich die Polizei auf: Für polizeiliche Überprüfungen darf ausschließlich das persönliche Verhalten Anlass geben, alles andere ist grundgesetzwidrig und eines Rechtsstaates unwürdig.

Liebe Freundinnen und Freunde,

eine erfolgreiche antirassistische Politik braucht mehr als kluge Worte.

Wir brauchen realistische Vorschläge zur Veränderung der sozialen Wirklichkeit, die den Rassismus und die rassistischen Spaltungen mit hervorbringt: Die wachsende soziale Ungleichheit, der globale und wirtschaftsliberale Turbokapitalismus verunsichern viele Menschen zutiefst und lassen sie anfällig werden für einfache, aber falsche Antworten.

Deshalb brauchen wir zweierlei.

Vor Ort brauchen wir zum einen wirksame, konkrete Vorschläge und eine konkrete Arbeit

  • für die menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten,
  • für ihre Einbindung in die Erwerbsarbeit und in das gesellschaftliche Leben der Demokratie.

Und wir brauchen zum anderen unbedingt Antworten auf berechtigte Ängste vor sozialem Abstieg. Wir brauchen zum Beispiel Antworten auf die Frage, wie Altersarmut und Langzeiterwerbslosigkeit verhindert werden können.

Oder mit anderen Worten: Wir brauchen Antworten auf die stetige Drohung sozialer Ausgrenzung, auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft.

In seinem Buch ‚Die Abstiegsgesellschaft‘ hat der Sozialwissenschaftler Oliver Nachtwey geschildert, wie durch die Zerstörung des Sozialstaates diese Drohung tagtäglich wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Menschen hängt.

Wer nach 40 Jahren Erwerbsarbeit eine Rente von weniger als 1000 Euro bekommt, fühlt sich von der Gesellschaft gedemütigt.

Wer als Langzeiterwerbsloser trotz hunderter von Bewerbungen von Hartz IV leben muss, fühlt sich von der Gesellschaft zu Recht ausgegrenzt und missachtet.

Beides darf nicht so bleiben!

Damit ich nicht missverstanden werde:

Armut und Angst vor sozialem Abstieg sind keine mildernden Umstände für Rassismus. Aber sie sind leider ein viel zu guter Nährboden für rassistische Hetze.

Nicht nur deshalb, aber auch deshalb, brauchen wir eine neue Politik der sozialen Gerechtigkeit! Darum hat sich meine Partei DIE LINKE bereits im Frühjahr 2015 für eine Sozialgarantie ausgesprochen.

Und deswegen sagen wir heute gemeinsam mit den Gewerkschaften:

Wer Flüchtlinge instrumentalisiert, um den ohnehin zu niedrigen gesetzlichen Mindestlohn durch neue Hintertürchen zu unterlaufen, der fördert den Rassismus. Darum fordere ich Arbeitsministerin Andrea Nahles auf, die Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn zu streichen.  Die Arbeit von Langzeiterwerbslosen, Saisonarbeiter*innen und Geflüchteten ist genauso viel wert wie die von anderen Menschen. Und darum, liebe Freundinnen und Freunde, müssen sie auch den vollen gesetzlichen Mindestlohn erhalten.

Und wenn ich schon mal bei dem Thema bin.

8,84 Euro brutto gesetzlicher Mindestlohn sind zu wenig. Davon kann man weder in Köln, noch in München, Frankfurt, Stuttgart, Hamburg oder Berlin leben. Und deshalb fordere ich, den gesetzlichen Mindestlohn schnell auf zehn Euro und anschließend auf zwölf Euro anzuheben.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die rassistische Hetze von „pro NRW“ und Anderen gefährdet die Demokratie.

Sie zerstört das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

Deshalb lasst uns gemeinsam Esther Seitz, “Pro NRW“ und ihrem Anhang die rote Karte zeigen.

Auch 2017 gilt:

Köln bleibt bunt, nicht braun!

Ich danke Euch.