Anmeldungen an Gesamtschulen und Gymnasien: Mangel an Schulplätzen so groß wie nie

Heiner Kockerbeck, Dr. Carolin Butterwegge
AK Jugend und SchuleArtikelBildung und Jugend2021 Schwerpunkt Bildungsgerechtigkeit

Bei den Anmeldungen von Kindern für das fünfte Schuljahr herrschen in diesem Jahr teils chaotische Zustände. Im Februar gab die Verwaltung bekannt, dass 980 Kinder keinen Platz an einer Gesamtschule erhalten. Für fast 30 % der angemeldeten Kinder fehlen 2022 Plätze. Im Vorjahr fehlten 695 Plätze. Bereits 2018 gab es schon einmal 960 Ablehnungen. Die Eltern der 980 müssen in der zweiten Runde der Anmeldungen eine andere Schulform wählen.

Hinzu kam im März, dass es nun auch bei den Gymnasien einen Rekordmangel gibt. 450 Plätze fehlen in der nächsten Runde dort. An Gesamtschulen abgelehnte Kinder tragen teils zu dieser Zahl bei. An Gymnasien werden seit Jahren als Notmaßnahme zusätzliche Klassen gebildet. Neun solcher „Mehrklassen“ gab es 2021. In diesem Jahr werden es 15 sein. Für jedes an Gymnasien angemeldete Kind wird jedoch es einen Platz geben. Nur führt dies an den betroffenen Schulen zu Einschränkungen, wenn z.B. für die „Mehrklasse“ Fachräume fehlen.

Und ein drittes Moment sorgt teils für chaotische Zustände: Eltern können ihre Kinder in diesem Jahr an so vielen Schulen anmelden, wie sie möchten. Sie können dadurch hoffen, bei den mittlerweile überall üblichen Verlosungen von Schulplätzen die Chancen ihres Kindes zu verbessern.

So meldeten Eltern dieses Jahr ihre Kinder an sechs oder mehr Schulen an. Das Ergebnis war ein unübersehbares Chaos und bittere Enttäuschung, wenn ein Kind dennoch sechs Ablehnungsbriefe erhielt. Das Verfahren wird in diesem Jahr so lange dauern wie nie, in weiteren Runden bis zum 30. April.

Das bisherige Verfahren, dass Eltern eine Wunschschule sowie Zweit- und Drittwünsche äußern, war durch pfiffige Eltern in den Jahren zuvor ausgehebelt worden. Von Anwälten beraten, hatten sie herausgefunden, dass die Stadt ihnen keine Vorgaben machen darf. Darüber informierte die Stadt in diesem Jahr alle Eltern. Nach NRW-Schulgesetzt entscheiden allein die einzelnen Schulen selbst darüber, wen sie aufnehmen.

In Zeiten des Mangels an Schulplätzen ist dieses Verfahren implodiert. Die personell unterbesetzten Schulen sind nicht in der Lage, gerichtsfest die an sich sinnvollen Kriterien des Schulgesetzes anzuwenden, wie z.B. Wohnortnähe. Die Folge: Schulplätze werden meist verlost. Das Los entscheidet über den Lebensweg eines zehnjährigen Kindes. Und Eltern wie Kinder, die ihr Kind an einem Gymnasium anmelden, müssen wochenlang zittern und bangen, wo und wann das Kind einen Schulplatz erhält. Wohnortnähe gerät zum Glücksfall. In diesem Jahr hatte die Stadt das immer mehr unwirksame Verfahren mit Erst-, Zweit- und Drittwunsch eingestellt.

Alle diese Entwicklungen zeigen: Der seit 2016 von der damaligen Bildungsdezernentin Agnes Klein ausgerufene Kölner Schulnotstand eskaliert weiter. Die Bevölkerung Kölns wächst. Gesamtschulen und Gymnasien werden zunehmend gewählt. Es fehlen anhaltend Schulplätze. Aber auch die mangelhafte Bausubstanz vieler Schulen, der Raummangel, das jahrelange Warten auf Sanierungsarbeiten hat verheerende Folgen. Ein Beispiel: Momentan sind in Köln 40 Sporthallen an Schulen aus baulichen Gründen stillgelegt.

Die hohen Ablehnungen an Gesamtschulen zeigen aber auch: Das traditionelle mehrgliedrige Schulsystem, das auch das Abschieben von Schüler*innen mit großen Lernproblemen in Förderschulen beinhaltet, befindet sich in einer Legitimationskrise. Fast 40 Prozent der Eltern und Kinder wählten in den vergangenen Jahren nach der Grundschule für ihr Kind oftmals eine Gesamtschule als die „Eine Schule für alle“. Der tatsächliche Anteil der Schüler*innen, die dann Gesamtschulen besuchen, liegt jedoch durch den Mangel an Plätzen um rund 10 Prozent niedriger.

Gesamtschulen wurden in den letzten 15 Jahren als Schulen, die alle Kinder individuell fördern, immer attraktiver. Dies gilt insbesondere für Kinder aus nicht-akademischen, ärmeren Schichten. Auch Migrant*innen, die in der zweiten oder dritten Generation schon gut integriert sind, wollen ihren Kindern beste Lebensschancen ermöglichen. Die Konkurrenz in einer Gesellschaft mit dem prozentual größten Niedriglohnsektor Europas hat sich verschärft. Gesamtschulen repräsentieren in ihr ein Versprechen auf Chancengleichheit.

Aktuell fehlen schon sieben Gesamtschulen mit fünf Klassen je Jahrgang. Tendenz steigend. Oberbürgermeisterin Reker und die sie stützenden Ratsparteien Grüne, CDU, Volt geben der Neugründung von Gesamtschulen keine Priorität. Manche in den Mittel- und Oberschichten empfinden Chancengleichheit bei Schulabschlüssen als Gefahr für ihre sozialen Privilegien. Auch deshalb sichert die Stadt sich nicht entschlossen Grundstücke für Gesamtschulen. Die städtische Gebäudewirtschaft wird nicht weiter reformiert und ausgebaut. Stattdessen gründet die Stadt in oberflächlichem Aktionismus eine kleine Schulbau-GmbH (s. S. x dieser Ausgabe).

Die Stadtbezirke Innenstadt, Lindenthal, Nippes, Porz und Kalk besitzen jeweils nur eine einzige Gesamtschule. Damit wird die Nachfrage nach Gesamtschulen künstlich klein gehalten. In den Stadtbezirken Ehrenfeld und Mülheim gibt es die meisten Gesamtschulen. Und dort sind die Anmeldezahlen bei weitem am höchsten. Wohnortnahe Gesamtschulen überzeugen viele Eltern davon, ihre Kinder dort anzumelden.

Das Problem ist jedoch nicht rein kommunal zu lösen. Bildungspolitik ist bei den Landtagswahlen im Mai ein Schlüsselthema. Drei Viertel der Befragten äußerten Anfang Februar in einer Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass sie unzufrieden mit der Schulpolitik in NRW sind. Unter Bildungsministerin Gebauer (FDP) wurden die Gymnasien von der Pflicht zur Inklusion überwiegend freigestellt. Nur knapp konnte ein Angriff auf das emanzipatorische Gesamtschul-Modell der Gesamtschule Holweide durch Proteste abgewehrt werden.

Die Landesregierung lässt Städte wie Köln, die eine wachsende Bevölkerungszahl haben und in denen Gesamtschulen boomen, mit ihren Problemen allein. In Köln wählen zurzeit jährlich rund 3.000 Eltern Gesamtschulen. Vor zehn Jahren waren es noch 2.000. Das Land betreibt Gesamtschulen, ist aber nicht bereit, den betroffenen Kommunen finanziell und organisatorisch zu helfen. Nach mehrjährigen Verhandlungen war es in Köln nicht bereit, der Stadt das große Grundstück am Walter-Pauli-Ring für eine dringend benötigte Gesamtschule in Kalk zu verkaufen. Es zeigt sich, dass weder CDU noch FDP eine zukunftsorientierte Vision von einem modernen Bildungssystem besitzen, dass Kinder nicht nach sozialer Herkunft sortiert, sondern alle Talente fördert.