Alle nehmen Anteil am Schicksal von Obdachlosen – aber keiner will Wohnungen für sie bauen

Andrea Kostolnik und Jörg Detjen

Das 2. Kolloquium der Stadtverwaltung zur Wohnungslosigkeit gibt Hoffnung und deprimiert gleichermaßen. Seit Jahrzehnten stellt die Stadt Köln eine große Palette von verschiedenen Angeboten für Wohnungslose bereit. 2019 wurden über 66 Mio. Euro für die Unterbringung und 27 Mio. Euro für die Betreuung (mit Geflüchteten) ausgegeben. Allerdings zeigt dieser Aufwand kaum Erfolge. Sind die Menschen erst einmal wohnungslos, blieben sie das in der Regel bis an ihr Lebensende. Nur den wenigsten gelingt die Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben. Die Wohnungslosigkeit wird in Köln wie in anderen Städten weniger bekämpft als verwaltet.

Das soll sich nun ändern. Sowohl bei den Trägern, die Sozialarbeit für Wohnungslose machen, als auch bei der Stadtverwaltung und in großen Teilen der Politik ist die Erkenntnis gewachsen, dass es so nicht bleiben kann. Die Hilfen müssen so beschaffen sein, dass Wohnungslose den Sprung in ein selbstbestimmtes Leben schaffen. Und sie müssen so gestaltet sein, dass Obdachlose sie auch annehmen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Obdachlose am besten wissen, was sie wollen, wieso sie „Platte machen“ anstatt in Einrichtungen zu übernachten. Man muss ihnen zuhören, und man muss, was sie sagen, auch ernst nehmen.

Insofern bot die mit Herzblut von der zuständigen Fachabteilung organisierte Veranstaltung viele kluge Ideen und auch Raum für das, was (ehemals) Betroffene zu dem Thema zu sagen hatten. Ein ehemaliger Betroffener schilderte anschaulich, dass plötzlich ein KVB-Ticket unbezahlbar wird. Beim Schwarzfahren droht aber ein Teufelskreis aus Geldstrafen bis hin zum Gefängnis. Sein Vorschlag war es, einen „Ausweis“ für Wohnungslose einzuführen, den die Kontrolleur*innen kennen müssen. Dann können sie, wenn er vorgezeigt wird, auf Strafmaßnahmen verzichten. Denkbar wäre auch, dass die Stadt diese Schwarzfahrten als Teil der Unterstützung für Wohnungslose kompensiert oder bezahlt.

Auch ehrenamtliche Unterstützer waren dabei und berichteten von ihren Schwierigkeiten. Ein im Sommer von einer Initiative organisierter Eiswagen, an dem Obdachlose sich kostenlos ein Eis abholen können, gehört für diese zu den absoluten Höhepunkten. Doch die Initiatorin beklagte sich über das pflichteifrige Ordnungsamt, das den Eiswagen aus der Domumgebung vertrieb. Durch das direkte Gespräch zwischen der Initiatorin und dem Ordnungsamt am Rande der Podiumsdiskussion konnte anscheinend ein Kompromiss gefunden werden.

Alle waren sich darin einig, dass die Regeln in den Einrichtungen für viele Obdachlose zu eng gefasst sind. So verzichten Hundebesitzer*innen lieber auf jegliche Art der Unterstützung, bevor sie sich von ihren Hunden trennen. Von Suchtkranken werden Einrichtungen gemieden, wenn sie dort ihr Suchtmittel (Alkohol, harte Drogen) nicht im gewohnten Umfang konsumieren dürfen.

Gerade ist ein großer Denkprozess im Gange, wie diese Regeln angepasst werden können, ohne auf Sicherheit zu verzichten. Viele Hunde auf engem Raum können Kämpfe beginnen. Menschen im Drogenrausch werden schneller gewalttätig und sind unberechenbarer. Deswegen wird überlegt, wie solche Gefahren im Zaum gehalten werden können.

Ein neues, gutes und hoffentlich flächendeckend angewendetes Instrument gegen Obdachlosigkeit ist Housing First. Dabei bekommen Obdachlose erst einmal ohne Bedingungen eine Mietwohnung. Unterstützung wird angeboten, muss aber nicht in Anspruch genommen werden. Die Erfahrung zeigt: Nach einer Zeit des zur Ruhe Kommens stabilisieren die Menschen sich. 90 % von ihnen behalten ihre Wohnung.

Doch dazu braucht man Wohnungen. Doch die Stadtverwaltung denkt nicht im Traum daran, jetzt den gemeinnützigen Wohnungsbau voranzutreiben, etwa durch den Bau von vielen dauerhaft günstigen Wohnungen durch städtische Wohnungsbaugesellschaften. Stattdessen stellt sie zwei Makler ein, die private Vermieter überreden sollen, ihre Wohnung einem Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht verkehrt, aber nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Die gerade diskutierten Maßnahmen werden dazu führen, dass Wohnungslosenarbeit ein humaneres Gesicht bekommt. Die Wohnungslosigkeit beenden wird nur ein großes Wohnungsbauprogramm. Schade, dass die Stadt Köln diesen Ehrgeiz nicht hat.