Linksfraktion aktuell

Antifaschistische Veranstaltung zum aktuellen Stand der Untersuchungen des NSU-Skandals

Kerstin Köditz, Mitglied des Landtages und Sprecherin für Antifaschistische Politik der Fraktion DIE LINKE in Sachsen, und Anna Conrads, Innenexpertin der NRW-Linken und ehemalige Abgeordnete des NRW-Landtages, waren am Samstag, 21. April, Gäste einer Veranstaltung der ?Antifaschistischen Nachrichten? und der Rosa Luxemburg Stiftung NRW. Die Veranstaltung sollte einen Austausch zur Aufklärung der Ende letzten Jahres aufgeflogenen Mord- und Anschlagsserie der NSU ermöglichen. Dies ist der Veranstaltung ohne Frage gelungen.

Den Anfang machte Kerstin Köditz mit ihrem Vortrag ?Neonazis und die Geheimdienste Hand in Hand?? und der Forderung, der NSU-Skandal müsse restlos aufgeklärt werden. Kerstin Köditz berichtete über ihre Arbeit im sächsischen Untersuchungsausschuss zur Terror-Aufklärung, der im April seine Arbeit aufnahm. Zwei wichtige Fragen sind laut Köditz bisher nicht beantwortet worden: Wie konnte es zu diesem flächendeckenden Versagen der Behörden kommen, und wieso konnten die Neonazis in Deutschland morden und rauben, ohne erkannt zu werden? Um diese Fragen zu beantworten, stellte Köditz zunächst die damalige Situation in Thüringen Anfang der 90er Jahre vor. Damals gab es nur kleine neofaschistische Gruppen vor Ort, die nicht vernetzt waren ? auch die NPD war nur eine kleine Partei. Unter der Verantwortung des damaligen Chefs des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Röwer, wurden diverse V-Leute aus der neofaschistischen Szene angeworben. Das viele Geld führte zur Vernetzung der einzelnen Gruppen, zur Gründung des Thüringer Heimatschutzes und zum Aufbau der NPD. Die drei Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt tauchten 1998 nach einer Reihe von Razzien unter. In den Jahren bis 2011 gab es Zugriffsmöglichkeiten auf die Untergetauchten, die nicht genutzt wurden, Geld des Thüringer Verfassungsschutzes floss in die Hände des Trios, wichtige Beweismittel aus Jenaer Zeiten fehlen, und jetzt kam heraus, dass die Kölner Staatsanwaltschaft fünf Jahre nach dem Anschlag in der Probsteigasse Beweismittel vernichten ließ. Im ?Spiegel" vom 23.4. wird auch noch berichtet, dass die Polizei über eine Unterstützerin auf die Spur der NSU hätte kommen können. Das sind nur ein paar Beispiele für das kollektive Versagen der Landesämter für Verfassungsschutz, der Polizei und der Justiz.

Kerstin Köditz erklärte, dass vor allem die Extremismus- bzw. Totalitarismusdoktrin die Aufklärung der Taten verhindert und die Unterschätzung der neofaschistischen Gefahr befördert habe. Jegliche Form von politisch motivierten Straftaten sei gleichwertig behandelt worden ? egal, ob links, rechts oder religiös. Außerdem müsse man darüber nachdenken, ob in den Behörden rassistisch gedacht werde, da diese von der Herkunft der Opfer auch auf die Herkunft der Täter schlossen und von kriminellen Millieus oder der türkischen Mafia sprachen. Dass dieselbe Waffe und immer wieder Fahrräder benutzt wurden sowie ähnliche Opfergruppen betroffen waren, ließ die Behörden nicht aufhorchen, sondern sie schlossen immer wieder einen rechtsterroristischen Hintergrund aus. Hier wird das Systematische am Versagen sichtbar. Kerstin Köditz fordert, dass erstens die Verwaltungsstrukturen und die politische Festlegung in den Behördern reformiert, zweitens die Verbindungen ? z. B. durch Blood und Honour ? der mindestens 148 NSU-Unterstützer  untersucht und drittens die Opferberatungen weiter gefördert werden. Des Weiteren müssten Personen, die bis heute fälschlicherweise nicht als Opfer der Neofaschisten gelten, endlich als solche anerkannt werden. Köditz nannte das Beispiel von Gewalttaten gegen Obdachlose oder linke, alternative Jugendliche. Diese Taten werden nicht den politisch rechts motivierten Straftaten zugeordnet.

Im zweiten Teil der Veranstaltung machte Anna Conrads mit dem Lügenmärchen Schluss, dass die NSU und Neofaschismus ein ostdeutsches Problem seien. Ihren Vortrag ?Gewalttätige Neonazis auch in Nordrhein-Westfalen aktiv? begann sie mit einer Zusammenstellung neofaschistischer Morde und Straftaten in NRW. Laut Anna Conrads liegt NRW noch heute bei den absoluten Zahlen rechter Gewalt vorne: In den Jahren 2005 bis 2010 fanden wöchentlich 100 rechte Straftaten statt. Dennoch bestritten bekannte Hochburgen der Neofaschisten wie z. B. Dortmund jahrelang, ein Problem zu haben.

Fakt ist, dass es auch in NRW eine neofaschistische Szene gibt, die sehr gut untereinander vernetzt ist. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat hier viele V-Leute angeworben und bestreitet trotz allem bis heute, Kenntnisse vom rechten Terror gehabt zu haben. Negiert wird auch, dass die untergetauchten Terroristen in NRW Helfer hatten. Dabei wissen wir heute, dass midestens 148 Personen bundesweit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unterstützt haben. Dass es da keinerlei Verbindungen zwischen den Neofaschisten in NRW, Sachsen und Thüringen gegeben haben soll, ist nicht sehr wahrscheinlich. Wie hätte die NSU ohne Unterstützung den Mord an Mehmet Kubasik in seinem Dortmunder Kiosk organisieren können?

Anna Conrads kritisierte weiter, dass es bis heute keine verbindlichen Informationen der Behörden gebe. Zwar erhielten verschiedene Medien stückchenweise Auskunft und gäben diese an die Öffentlichkeit weiter, aber mit echter Aufklärung habe das wenig zu tun. Der politische Wille, reinen Tisch zu machen und die Strukturen endlich aufzubrechen, scheint zu schwinden. Deshalb will DIE LINKE einen Untersuchungsausschuss in NRW beantragen, wenn sie es schafft, in den Landtag einzuziehen.